Gilt das Gesetz des Moses auch für Christen?
Während Tammy und ich in der Lobby eines Flughafens darauf warteten, in Kürze unseren Heimflug anzutreten, bemerkte ich einen jungen Mann, der zwei Sitze weiter sass und wiederholt zu mir herüberschaute. Nach ein paar Minuten fragte er mich: „Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Herr Joseph Tkach?“ Es freute ihn, mit mir ins Gespräch zu kommen, und er erzählte mir, dass er vor kurzem von einer Sabbatarier-Gemeinde ausgeschlossen worden sei. In unserem Gespräch ging es schon bald um das Gesetz Gottes – er fand meine Aussage sehr interessant, dass die Christen verstehen würden, dass Gott den Israeliten das Gesetz gab, obwohl sie es nicht perfekt halten konnten. Wir sprachen darüber, dass Israel wahrhaftig eine „bewegte“ Vergangenheit hatte, in der sich das Volk oft von Gottes Gesetz entfernte. Es war uns klar, dass dies für Gott keine Überraschung darstellte, denn er weiss, wie Dinge sich entwickeln.
Ich sprach ihn darauf an, dass das Gesetz, das Israel durch Mose gegeben wurde, 613 Gebote umfasst. Er stimmte mir zu, dass es hierzu viele Argumente gibt, inwieweit diese Gebote für Christen bindend seien. Manche argumentieren, dass alle Gebote gehalten werden müssten, da sie alle „von Gott“ kommen. Wenn dies zuträfe, müssten Christen Tiere opfern und Gebetsriemen tragen. Er bestätigte, dass es vielerlei Meinungen darüber gibt, welche der 613 Gebote heute eine geistliche Anwendung haben und welche nicht. Wir waren uns auch darin einig, dass die verschiedenen sabbatarischen Gruppen über diese Frage gespalten sind – einige praktizieren die Beschneidung; einige halten die Sabbate in der Landwirtschaft und die Jahresfeste; einige nehmen den ersten Zehnten, aber keinen zweiten und dritten; einige jedoch alle drei; einige halten den Sabbat, nicht jedoch die jährlichen Feste; einige beachten die Neumonde und heiligen Namen – jede Gruppe glaubt, dass ihr „Paket“ an Doktrinen biblisch korrekt sei, das der anderen jedoch nicht. Er bemerkte, dass er seit einiger Zeit mit diesem Problem kämpfe und die bisherige Art und Weise, den Sabbat zu halten, aufgegeben habe; er mache sich jedoch Gedanken, dass er ihn nicht korrekt halte.
Überraschenderweise stimmte er zu, dass viele Sabbatarier sich im Irrtum befinden, weil sie nicht erkennen, dass das Kommen Gottes im Fleisch (in der Person Jesu) das aufrichtete, was die Schrift als den „Neuen Bund“ (Hebräer 8,6) bezeichnet und somit das Gesetz, das Israel gegeben wurde, als veraltet darstellt (Hebr. 8,13). Diejenigen, die diese Grundwahrheit nicht akzeptieren und danach trachten, nach den Regeln des mosaischen Gesetzes (welches 430 Jahre nach Gottes Bund mit Abraham hinzugefügt wurde; siehe Gal. 3,17) zu leben, praktizieren nicht den historischen christlichen Glauben. Ich glaube, dass es in unserer Diskussion zu einem Durchbruch kam, als ihm klar wurde, dass die Ansicht (die viele Sabbatarier vertreten) nicht aufrechterhalten werden kann, dass wir uns jetzt „zwischen dem Alten und dem Neuen Bund“ befinden (der Neue Bund käme erst mit Jesu Wiederkunft). Er stimmte mir zu, dass Jesus das wahre Opfer für unsere Sünden sei (Hebr. 10,1-3) und obwohl im Neuen Testament die Abschaffung von Dank- und Sühneopfer nicht besonders erwähnt wird, Jesus diese auch erfüllt habe. Wie Jesus erklärt hatte, die Schriften weisen deutlich auf ihn hin und er erfüllt das Gesetz.
Der junge Mann sagte mir, dass er noch Fragen zum Halten des Sabbats habe. Ich erklärte ihm, dass es der sabbatarischen Sichtweise am Verständnis mangele, nämlich, dass sich die Anwendung des Gesetzes bei Jesu erstem Kommen verändert hat. Obwohl es noch gültig ist, kommt es nun zu einer geistlichen Anwendung des Gesetzes Gottes – die voll in Betracht zieht, dass Christus das Gesetz, das Israel gegeben wurde, erfüllt hat; die auf unserer vertieften Beziehung mit Gott durch Christus und dem Heiligen Geist beruht und in unser tiefstes Inneres hineinreicht – in unsere Herzen und unseren Sinn. Durch den Heiligen Geist leben wir im Gehorsam gegenüber Gott als Mitglieder des Leibes Christi. Zum Beispiel: Wenn unsere Herzen durch den Geist Christi beschnitten sind, dann spielt es keine Rolle, ob wir physisch beschnitten sind.
Christi Erfüllung des Gesetzes hat zur Folge, dass unser Gehorsam gegenüber Gott aufgrund seines tieferen und intensiveren Werkes durch Christus und des Kommens des Heiligen Geistes hervorgebracht wird. Als Christen kommt unser Gehorsam aus dem, was immer hinter dem Gesetz stand, nämlich das Herz, der Geist und die grosse Absicht Gottes. Wir erkennen dies an Jesu neuem Gebot: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe“ (Johannes 13,34). Jesus gab dieses Gebot und lebte nach diesem Gebot in dem Wissen, dass Gott in und durch seinen Dienst auf Erden und durch die Kraft des Heiligen Geistes, sein Gesetz in unsere Herzen schreiben würde, und so die Prophezeiungen Joels, Jeremias und Hesekiels erfüllte.
Durch das Einsetzen des Neuen Bundes, der die Aufgabe des Alten Bundes erfüllte und beendete, veränderte Jesus unsere Beziehung zum Gesetz und erneuerte die Form unseres Gehorsams, den wir als sein Volk angenommen haben. Das zugrundeliegende Gesetz der Liebe besteht schon immer, aber Jesus verkörperte und erfüllte es. Der Alte Bund mit Israel und das damit verbundene Gesetz (einschliesslich Opfer, Quasten und Erlassjahre) erforderte eigens für die Nation Israel besondere Formen der Umsetzung des zugrundeliegenden Gesetzes der Liebe. Diese Besonderheiten sind in vielen Fällen jetzt überholt. Der Geist des Gesetzes bleibt bestehen, aber die Vorschriften des geschriebenen Gesetzes, die eine besondere Form des Gehorsams vorschrieben, müssen nicht länger befolgt werden.
Das Gesetz konnte sich nicht selbst erfüllen; es konnte keine Herzen verändern; es konnte nicht sein eigenes Versagen verhindern; es konnte nicht gegen Versuchung schützen; es konnte nicht für jede einzelne Familie auf der Erde die ihr gemässe Form des Gehorsams festlegen. Seit Beendigung des Wirkens Jesu auf Erden und der Sendung des Heiligen Geistes gibt es jetzt andere Wege, durch die wir unsere Ergebenheit gegenüber Gott und unsere Liebe gegenüber unseren Nächsten zum Ausdruck bringen. Diejenigen, die den Heiligen Geist empfangen haben, können jetzt besser das Wort Gottes aufnehmen und Gottes Absicht für ihren Gehorsam verstehen, da der Gehorsam in Christus verkörpert und offenbart wurde und durch seine Apostel an uns übermittelt wurde, indem es für uns in den Büchern, die wir das Neue Testament nennen, bewahrt wurde. Jesus, unser grosser Hohepriester, zeigt uns das Herz des Vaters und sendet uns den Heiligen Geist. Durch den Heiligen Geist können wir aus den Tiefen unseres Herzens auf das Wort Gottes reagieren, indem wir durch Wort und Tat Gottes Absicht bezeugen, dass er seinen Segen über alle Familien auf der Erde ausbreiten möchte. Dies übertrifft alles, wozu das Gesetz imstande war, denn es geht weit über Gottes Absicht hinaus, was das Gesetz leisten sollte.
Der junge Mann stimmte diesen Ausführungen zu und fragte dann, wie dieses Verständnis sich auf den Sabbat auswirkt. Ich erklärte, dass der Sabbat den Israeliten zu verschiedenen Zwecken diente: Es erinnerte sie an die Schöpfung; es erinnerte sie an ihren Auszug aus Ägypten; es erinnerte sie an ihre besondere Beziehung mit Gott und es verschaffte den Tieren, Dienern und Familien eine Zeit der physischen Ruhe. Vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, erinnerte es die Israeliten an ihre Pflicht, ihre bösen Werke zu beenden. Christologisch gesehen, wies es sie auf die Notwendigkeit einer geistlichen Ruhe und die Erfüllung durch das Kommen des Messias hin – indem sie ihr Vertrauen zur Erlangung des Heils besser auf ihn setzen als auf ihre eigenen Werke. Der Sabbat symbolisierte auch die Vollendung der Schöpfung am Ende des Zeitalters.
Ich teilte ihm mit, dass die meisten Sabbatarier anscheinend nicht erkennen können, dass die Satzungen, die dem Volk Israel durch Mose gegeben wurden, vorübergehend galten – also nur für einen bestimmten Zeitraum und Platz in der Geschichte der Nation Israels. Ich wies darauf hin, dass es nicht schwierig sei zu erkennen, dass es nicht für alle Zeiten und an jedem Ort Sinn macht, „den Bart ungeschoren zu lassen“ oder sich „Quasten an die vier Zipfel eines Gewandes zu machen“. Als Gottes Absichten für Israel als Nation in Jesus erfüllt waren, wandte er sich durch sein Wort und den Heiligen Geist an alle Menschen. Das führte dazu, dass die Form des Gehorsams gegenüber Gott der neuen Situation gerecht werden musste.
In Bezug auf den Siebenten-Tages-Sabbat ist das authentische Christentum nicht dazu übergegangen, den siebten Tag der Woche als eine astrologische Einheit zu übernehmen, so als hätte Gott einen Tag der Woche über die anderen gestellt. Statt nur einen Tag auszusondern, an dem seine Heiligkeit zu bekennen sei, wohnt Gott jetzt durch den Heiligen Geist in uns und heiligt dadurch unsere gesamte Zeit. Obwohl wir uns an jedem beliebigen Tag der Woche versammeln könnten, um Gottes Gegenwart zu feiern, versammeln sich die meisten christlichen Gemeinden zum Gottesdienst am Sonntag, dem von den meisten anerkannten Tag, an dem Jesus von den Toten auferstand und somit die Verheissungen des Alten Bundes erfüllte. Jesus hat das Sabbat-Gesetz (und alle Aspekte der Thora) weit über die zeitlichen Beschränkungen hinaus erweitert, was das in Worte gefasste Gesetz nicht leisten konnte. Er erhöhte sogar das Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ durch „Liebt euch untereinander, wie ich euch geliebt habe“. Das ist eine unglaubliche Liebesgüte, die nicht in 613 Gebote (auch nicht in 6000!) gefasst werden kann. Gottes treue Erfüllung des Gesetzes macht Jesus zu unserem Mittelpunkt, nicht einen schriftlichen Kodex. Wir stellen nicht einen Tag der Woche in den Mittelpunkt; er ist unser Mittelpunkt. Wir leben jeden Tag in ihm, weil er unsere Ruhe ist.
Bevor wir an Bord unserer jeweiligen Maschine gingen, stimmten wir darin überein, dass es bei der geistlichen Anwendung des Sabbatgesetzes darum geht, ein Leben des Glaubens in Christus zu führen – ein Leben, das durch die Gnade Gottes und durch das neue und tiefere Wirken des Heiligen Geistes in uns, von innen heraus verändert wird.
Stets dankbar für Gottes Gnade, die uns von Kopf bis Fuss heil macht.
Joseph Tkach
Präsident
GRACE COMMUNION INTERNATIONAL