Die Religion des Neuen Atheismus
Im Englischen wird gerne die Zeile „Die Dame, wie mich dünkt, gelobt [altenglisch: protestiert] zu viel“ aus Shakespeares Hamlet zitiert, womit man jemanden beschreibt, der andere von etwas zu überzeugen versucht, was nicht wahr ist. Dieser Satz kommt mir in den Sinn, wenn ich von Atheisten höre, die dagegen protestieren, dass Atheismus eine Religion sei. Manche Atheisten untermauern ihren Protest mit folgenden syllogistischen Vergleichen:
- Wenn der Atheismus eine Religion ist, dann ist “Glatze” eine Haarfarbe. Obwohl sich dies schon fast tiefsinnig anhören mag, so wird doch nur eine falsche Aussage mit einer unpassenden Kategorie verglichen. Eine Glatze hat nichts mit einer Haarfarbe zu tun. Sicherlich, auf einer Glatze ist keine Haarfarbe erkennbar, aber da der Atheismus in mehrfacher Hinsicht wahrnehmbar ist, mag er sehr wohl eine Farbe wie andere Religionen haben, selbst wenn sie einzigartig ist; das ist beim Christentum genauso. Ausserdem habe ich noch nie eine glatzköpfige Person getroffen, die keine Haarfarbe hat. Wenn jemand keine Haare auf dem Kopf hat, kann man es nicht so darstellen, als gäbe es keine Haarfarbe.
- Wenn Atheismus eine Religion ist, dann ist Gesundheit eine Krankheit. Wie gesagt, das mag sich auf den ersten Blick wie ein gültiger Syllogismus anhören, ist jedoch nicht mehr als zweideutiges Gerede, bei der es wieder um den Vergleich einer Falschaussage mit einer unpassenden Kategorie geht, was logisch falsch ist. Ich sollte noch erwähnen, dass Studien nachgewiesen haben, dass der Glaube an Gott nicht nur mit Berichten über verbesserte geistige Gesundheit von Gläubigen, sondern auch mit verbesserter physischer Gesundheit verglichen mit Nichtgläubigen zusammenhängt. Tatsächlich wurde in fast 350 Studien über physische Gesundheit und 850 Studien über psychische Gesundheit, die religiöse und geistige Komponenten untersuchten, festgestellt, dass religiöse Einflüsse und Spiritualität mit besserer Genesung verbunden sind.
- Wenn Atheismus eine Religion ist, dann ist Enthaltsamkeit eine sexuelle Stellung. Erneut beweist das Gegeneinanderhalten von zwei Aussagen überhaupt nichts. Man kann damit weitermachen und neue unsinnige Aussagen zusammenfügen. Die Präsentation logischer Fehlern sagt uns nichts darüber, was tatsächlich wahr ist.
Das höchste amerikanische Gericht (Supreme Court) hat in mehr als einem Fall entschieden, dass Atheismus nach dem Gesetz wie eine Religion behandelt werden muss (d.h. als geschützte Glaubensauffassung gleichrangig mit anderen Religionen). Atheisten glauben, dass es keine Götter gibt. So gesehen ist es ein Glaube über Götter und das qualifiziert ihn als Religion, ganz ähnlich wie auch der Buddhismus als Religion bezeichnet wird.
Man unterscheidet drei religiöse Auffassungen über Gott: monotheistisch (Judaismus, Christentum, Islam), polytheistisch (Hinduismus, Mormonentum) und nicht-theistisch (Buddhismus, Atheismus). Man könnte für den Atheismus eine vierte Kategorie einführen und sie als anti-theistisch bezeichnen. In einem Artikel, der in The Christian Post erschien, zeigt Mike Dobbins auf, wie der Atheismus sich religiös darstellt. Nachfolgend ein Auszug (aus Atheism as a Religion: An Introduction tot he World’s Least Understood Faith [dt: Atheismus als Religion: Eine Einführung in den am wenigsten verstandenen Glauben der Welt]):
Für Atheisten ist der Buchstabe ‘A‘ ein heiliges Symbol, das für den Atheismus steht. Es gibt drei bedeutende ‘A‘-Symbole im Atheismus. Ein ‘A‘-Symbol ist mit einem Kreis umgeben und wurde 2007 von der Atheist Alliance International geschaffen. Der Kreis soll die Einheit der Atheisten darstellen und alle anderen atheistischen Symbole darunter vereinen. Es sind nicht
nur diese Symbole, die den Atheismus kennzeichnen. Es besteht ein atheistisch-religiöser Symbolismus, der nur Insidern oder Kennern des Atheismus bekannt ist.
Viele Atheisten machten im Jahr 2013 zu Weihnachten deutlich, wie heilig ihnen das ‘A’Symbol ist. In meiner Heimatstadt Chicago ist es erlaubt, während der Festtage auf öffentlichen Plätzen die Chanukka-Menora (Leuchter zum jüdischen Lichterfest) und die Weihnachtskrippe aufzustellen. Also verlangten die Atheisten, dass auch sie ihr religiöses Symbol aufstellen können; so könne die Verwaltung auch vermeiden, den Anschein zu erwecken, sie würde mit den Religionen unterschiedlich verfahren. Die Freedom From Religion Foundation wählte ein Gerüst mit einem riesigen ‘A‘-Symbol, 2,5 Meter hoch, mit roter Leuchtreklame, so dass es für jedermann sichtbar war. Zahllose Atheisten huldigten ihrem ‘A‘, indem sie den Aufstellungsort zu einem Wallfahrtsort machten. Dort machten sie Fotos von sich und dem roten ‘A‘. Viele von ihnen, da bin ich mir sicher, werden die Fotos als besondere Andenken aufbewahren. Doch das grosse, rote A war ihnen nicht genug. Sie setzten auch durch, dass sie ihren atheistischen Glauben durch die Aufstellung eines Schildes mit folgender Aufschrift präsentieren konnten: „Es gibt keine Götter, keine Teufel, keine Engel, keinen Himmel oder Hölle. Es gibt nur unsere natürliche Welt. Religion ist nichts weiter, als ein Märchen und Aberglaube, der die Herzen verhärtet und den Verstand versklavt.“
Der Debunking Atheists Blog (amerikanischer Internetbeitrag über die Entlarvung von Atheisten) [2] enthält eine hilfreiche Liste von atheistischen Schlüsselansichten, die klar ihre religiösen Inhalte aufzeigt.
Nachfolgend eine gekürzte Fassung der Liste:
- Atheisten haben ihre eigene Weltanschauung. Der Materialismus (die Ansicht, dass es nur eine materielle Welt gibt) ist die Brille, durch die Atheisten die Welt betrachten. Weit davon entfernt, aufgeschlossen zu sein, gelten für sie nur beweisbare Fakten; sie verstehen alle Fakten ausschliesslich aus einer sehr begrenzten materialistischen Weltanschauung.
- Atheisten haben ihre eigene Orthodoxie. Orthodoxie ist eine Zusammenstellung von normativen Glaubenssätzen, die eine Glaubensgemeinschaft angenommen hat. Ebenso wie es eine christliche Orthodoxie gibt, gibt es auch eine atheistische. Kurz gesagt, alles Existierende kann als das Ergebnis einer unabsichtlichen, ungesteuerten und sinnfreien Evolution erklärt werden. Jeglicher Anspruch auf Wahrheit wird abgelehnt, solange er nicht wissenschaftlicher Überprüfung und empirischer Bestätigung standhält.
- Atheisten haben ihre eigene Art Apostaten (Abtrünnige) zu brandmarken. Apostasie bezeichnet die Lossagung vom bisherigen Glauben. Antony Flew (1923-2010, engl. Philosoph) war jahrelang einer der weltberühmtesten Atheisten. Dann tat er das Undenkbare: er änderte seine Meinung. Sie können sich denken, wie die Reaktion der „aufgeschlossenen, toleranten“ neu-atheistischen Bewegung ausfiel. Flew wurde verleumdet. Richard Dawkins bezichtigte Flew des „Gesinnungswandels“ – eine recht ausgefallene Bezeichnung für Apostasie. Nach deren eigenem Eingeständnis, hat sich Flew somit von deren „Glauben“ abgewandt [und wurde eine Art Deist].
- Atheisten haben ihre eigenen Propheten: Nietzsche, Russell, Feuerbach, Lenin und Marx.
- Atheisten haben ihren eigenen Messias: Charles Darwin, der nach ihrer Ansicht den entscheidenden Pfahl durch das Herz des Theismus getrieben hat, indem er eine umfassende Erklärung dafür lieferte, wonach das Leben niemals Gott als Urheber oder Erklärung benötige. Daniel Dennett hat sogar ein Buch darüber geschrieben in der Absicht, den religiösen Glauben selbst lediglich als eine evolutionäre Entwicklung zu definieren.
- Atheisten haben ihre eigenen Prediger und Evangelisten: Dawkins, Dennett, Harris und Hitchens (sie sind die vier prominentesten Vertreter der neu-atheistischen Bewegung).
- Atheisten sind Gläubige. Obwohl sie in ihren Schriften über den Glauben spotten (Harris Buch trägt den Titel: The End of Faith [dt: Das Ende des Glaubens]) handelt es sich beim Atheismus um eine auf Glauben gegründete Initiative. Da die Existenz Gottes weder bewiesen noch widerlegt werden kann, erfordert die Ablehnung Gottes einen Glauben in die eigenen wissenschaftlichen Fähigkeiten der Beobachtung und des rationalen Denkens. In der Entwicklung des Atheismus gibt es keine Erklärung für die Frage „Warum ist das Universum geordnet, berechenbar und messbar?“ Der Atheismus hat keine rationale Erklärung dafür, warum es so etwas wie rationales Denken überhaupt gibt. Er hat keine Erklärung auf Fragen, die er hofft, auch nicht gestellt zu bekommen wie „Warum haben wir ein Selbstbewusstsein? Was bewirkt, dass wir denken können? Woher kommt der universale Sinn für Recht und Unrecht? Wie können wir sicher wissen, dass es kein Leben nach dem Tod gibt? Wie können wir sicher sein, dass ausserhalb der materiellen Welt nichts existiert? Wie wissen wir, dass nur solche Dinge existieren, die praktischerweise durch unsere bekannten wissenschaftlichempirischen Methoden nachweisbar sind? Atheisten schreiben unerklärliche Dinge dem Glauben zu – sie vermuten Dinge, ohne dafür eine stichhaltige rationale oder empirische Grundlage zu haben.
Im Gegensatz zu den Protesten der Atheisten besteht die Realität ihres Bekenntnissystems auf einer glaubensgestützten Initiative mit Praktiken und Glaubenssätzen genau wie bei anderen Religionen auch. Es ist schon ironisch, dass Atheisten, die darauf bestehen, dass der Atheismus keine Religion sei und über andere Religionen schimpfen, sogar grosse Schilder im Wettbewerb zu denen von anderen Religionen aufstellen.
Ich beeile mich hinzuzufügen, dass einige Christen grundsätzlich denselben Fehler machen, wenn sie über andere Religionen herziehen (und sogar über andere Formen des Christentums). Als Christen sollten wir nicht vergessen, dass unser Glaube nicht eine blosse Religion ist, die es zu behaupten und zu verteidigen gilt. Stattdessen ist Christentum in ihrem Kern eine lebendige Beziehung mit dem dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Unsere Berufung als Christen besteht nicht darin, ein weiteres Glaubenssysteme in der Welt durchzusetzen, sondern sich in Gottes fortwährendes Versöhnungswerk als seine Botschafter (2. Korinther 5,18-21) einzubringen – indem wir die gute Nachricht (das Evangelium) verkündigen, dass den Menschen vergeben wurde, dass sie erlöst sind und von Gott geliebt werden, der sich nach einer Beziehung des Vertrauens (Glaubens), der Hoffnung und Liebe mit allen Menschen sehnt.
Ich bin froh, dass das authentische Christentum keine Religion, sondern eine Beziehung ist.
Joseph Tkach
Präsident
GRACE COMMUNION INTERNATIONAL