Unsichtbare Sichtbarkeit
Ich finde es amüsant, wenn Menschen erklären: „Wenn ich es nicht sehen kann, werde ich es nicht glauben.“ Ich höre das oft sagen, wenn Leute daran zweifeln, dass Gott existiert oder dass er alle Menschen in seine Gnade und Barmherzigkeit einschliesst. Um nicht Anstoss zu erregen, weise ich darauf hin, dass wir weder Magnetismus noch Elektrizität sehen, aber durch ihre Wirkungen wissen, dass es sie gibt. Das gleiche gilt vom Wind, der Gravitation, dem Schall und sogar den Gedanken. Auf diese Weise erfahren wir, was als „bilderloses Wissen“ bezeichnet wird. Ich mag es, auf ein derartiges Wissen hinzuweisen, wie eben der „unsichtbaren Sichtbarkeit.“
Bloss auf unsere Sehkraft vertrauend, konnten wir seit Jahren nur über das, was in den Himmeln war, spekulieren. Mit Hilfe von Teleskopen (wie z. B. dem Hubble Teleskop) wissen wir heute viel mehr. Was einst für uns „unsichtbar“ war, ist jetzt sichtbar. Doch nicht alles, was existiert, ist sichtbar. Dunkle Materie z. B. strahlt kein Licht oder Wärme aus. Für unsere Teleskope ist sie unsichtbar. Die Wissenschaftler wissen jedoch, dass dunkle Materie existiert, weil sie ihre Gravitationseffekte herausgefunden haben. Ein Quark ist ein winzig kleines spekulatives Teilchen, aus denen sich im Kern der Atome Protonen und Neutronen bilden. Mit Gluonen, bilden Quarks auch noch exotischere Hadronen, wie Mesonen. Obwohl keines dieser Bestandteile eines Atoms je beobachtet wurde, haben Wissenschaftler ihre Wirkungen nachgewiesen.
Es gibt kein Mikroskop oder Teleskop, durch das Gott gesehen werden kann, so wie es uns die Schrift in Johannes 1,18 sagt: Gott ist unsichtbar: „Kein Mensch hat jemals Gott gesehen. Doch sein einziger Sohn, der den Vater genau kennt, hat uns gezeigt, wer Gott ist.“ Mit physischen Hilfsmitteln gibt es keine Möglichkeit, Gottes Existenz zu „beweisen“. Aber wir glauben, dass Gott existiert, weil wir die Auswirkungen seiner bedingungslosen, alles übertreffenden Liebe erfahren haben. Diese Liebe ist natürlich höchst persönlich, intensiv und konkret in Jesus Christus offenbart. In Jesus sehen wir, was seine Apostel folgerten: Gott ist Liebe. Liebe, welche an sich nicht gesehen werden kann, ist Gottes Natur, Motivation und Zweck. So wie es TF Torrance darlegt:
„Der ständige und unaufhörliche Ausfluss von Gottes Liebe, die keinen anderen Grund für sein Handeln hat, als die Liebe, die ja Gott ist, ist deshalb ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf ihre Reaktionen uneingeschränkt ausgegossen“ (Christian Theology and Scientific Culture, p. 84).
Gott liebt, auf Grund dessen, wer er ist, nicht auf Grund dessen, wer wir sind und was wir tun. Und diese Liebe ist uns in Gottes Gnade offenbart.
Wir können zwar das Unsichtbare, wie Liebe oder Gnade, nicht vollständig erklären, wir wissen aber es existiert, weil das, was wir sehen, teilweise vorhanden ist. Beachten Sie, ich benutze das Wort „teilweise“. Wir wollen nicht in die Falle des Dünkels tappen, dass das Sichtbare das Unsichtbare erklärt. TF Torrance, der Theologie und Wissenschaft studierte, stellt fest, dass das Gegenteil wahr ist; das Unsichtbare erklärt das Sichtbare. Um dies zu erläutern, benutzt er das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20,1-16), wo der Weinbergbesitzer den ganzen Tag Arbeiter anheuert, um auf den Feldern zu arbeiten. Am Ende des Tages bekommt jeder Arbeiter denselben Lohn bezahlt, auch wenn einige den ganzen Tag hart gearbeitet haben und andere nur ein paar Stunden arbeiteten. Den meisten Arbeitern, erscheint dies unfair. Wie konnte jemand, der nur eine Stunde arbeitet, den gleichen Lohn erhalten, wie jemand, der den ganzen Tag arbeitet?
Torrance weist darauf hin, dass die fundamentalistischen und liberalen Exegeten den Punkt von Jesu Gleichnis verfehlen, welcher nicht Löhne und Gerechtigkeit, sondern Gottes bedingungslose, grosszügige und kraftvolle Gnade behandelt. Diese Gnade basiert nicht darauf, wie lange wir gearbeitet, wie lange wir geglaubt, wie viel wir studiert haben, oder wie gehorsam wir waren. Gottes Gnade basiert völlig auf dem, wer Gott ist. Mit diesem Gleichnis, macht Jesus die „unsichtbare“ Natur von Gottes Gnade „sichtbar“, der ganz anders als wir, die Dinge sieht und tut. In Gottes Reich geht es nicht darum, wie viel wir verdienen, sondern um Gottes überreichliche Grosszügigkeit.
Jesu Gleichnis sagt uns, dass Gott seine wundervolle Gnade allen Menschen anbietet. Und während allen die Gabe in demselben Masse angeboten wird, wählen einige sofort in dieser Realität der Gnade zu leben und haben somit die Gelegenheit, sich länger daran zu erfreuen, als diejenigen, die diese Wahl noch nicht getroffen haben. Das Geschenk der Gnade ist gleichsam für alle. Was der Einzelne damit tut, ist sehr unterschiedlich. Wenn wir in Gottes Gnade leben, ist das, was für uns unsichtbar war, sichtbar geworden.
Die Unsichtbarkeit von Gottes Gnade macht sie nicht weniger real. Gott gab sich uns selbst, so dass wir ihn kennen und lieben und seine Vergebung empfangen können und in eine Beziehung zu ihm als Vater, Sohn und Heiliger Geist eingehen. Wir leben im Glauben und nicht im Schauen. Wir haben seinen Willen in unserem Leben, in unserem Denken und Handeln erlebt. Wir wissen, Gott ist Liebe, weil wir wissen, wer er in Jesus Christus ist, der ihn uns „offenbart“ hat. So wie es in Johannes 1,18 (Neue Genfer Übersetzung) geschrieben steht:
„Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn hat ihn uns offenbart, er, der selbst Gott ist und an der Seite des Vaters sitzt.“ Wir spüren die Kraft der Gnade Gottes, wie wir ebenso seine Absicht erfahren, uns zu vergeben und zu lieben – uns das wundervolle Geschenk seiner Gnade zu geben. So, wie es Paulus in Philipper 2,13 (Neue Genfer Übersetzung) ausdrückt: „Gott selbst ist ja in euch am Werk und macht euch nicht nur bereit, sondern auch fähig, das zu tun, was ihm gefällt.“
In Seiner Gnade lebend,
Joseph Tkach
Präsident GRACE COMMUNION INTERNATIONAL