Heiligung

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Heiligung ist ein Gnadenakt, durch den Gott dem Gläubigen die Gerechtigkeit und Heiligkeit Jesu Christi zurechnet und ihn darin einbezieht. Heiligung wird erfahren durch den Glauben an Jesus Christus und wird bewirkt durch die Gegenwart des Heiligen Geistes im Menschen. (Römer 6,11; 1. Johannes 1,8-9; Römer 6,22; 2. Thessalonicher 2,13; Galater 5, 22-23)

Heiligung

Nach dem Concise Oxford Dictionary bedeutet heiligen „aussondern oder etwas heilig halten“, oder „von Sünde reinigen oder befreien“.1 Diese Definitionen widerspiegeln die Tatsache, dass die Bibel das Wort „heilig“ in zweifacher Weise benutzt: 1) ein besonderer Status, d.h. für Gottes Gebrauch ausgesondert zu sein, und 2) moralisches Verhalten – Gedanken und Handlungen, die einem heiligen Status angemessen sind, Gedanken und Handlungen, die im Einklang mit Gottes Weg sind.2

Es ist Gott, der sein Volk heiligt. Er ist es, der es für seinen Zweck aussondert, und er ist es, der zu heiligem Verhalten befähigt. Es gibt kaum Kontroversen über den ersten Punkt, dass Gott Menschen für seinen Zweck aussondert. Aber es gibt Kontroversen in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen Gott und Mensch, das bei der Heiligung des Verhaltens einhergeht.

Die Fragen umfassen: Welche aktive Rolle sollen Christen bei der Heiligung spielen? In welchem Ausmass sollten Christen erwarten, bei der Angleichung ihrer Gedanken und Handlungen an den göttlichen Standard erfolgreich zu sein? Wie sollte die Kirche ihre Mitglieder ermahnen?

Wir werden die folgenden Punkte präsentieren:

  • Heiligung wird durch die Gnade Gottes ermöglicht.
  • Christen sollten versuchen, ihre Gedanken und Handlungen mit dem Willen Gottes, so wie er in der Bibel offenbart wird, in Einklang zu bringen.
  • Heiligung ist ein fortschreitendes Wachstum, als Antwort auf Gottes Willen. Besprechen wir, wie Heiligung beginnt.

Anfängliche Heiligung

Menschen sind moralisch korrupt und können sich nicht von sich aus für Gott entscheiden. Versöhnung muss von Gott initiiert werden. Gottes gnädiges Eingreifen ist erforderlich, bevor ein Mensch Glauben haben kann und sich Gott zuwendet. Ob diese Gnade unwiderstehlich ist, ist umstritten, aber die Orthodoxie stimmt darin überein, dass es Gott ist, der die Wahl trifft. Er wählt Menschen für seinen Zweck aus und heiligt sie dadurch oder sondert sie für andere aus. In der Antike heiligte Gott das Volk Israel, und innerhalb dieses Volkes heiligte er weiter die Leviten (z.B. 3. Mose 20,26; 21,6; 5Mo 7,6). Er sonderte sie für seinen Zweck aus.3

Christen werden jedoch auf eine andere Weise ausgesondert: „Die Geheiligten in Christus Jesus“ (1. Korinther 1,2). „Wir sind geheiligt worden ein für alle Mal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebräer 10,10).4 Christen werden durch das Blut Jesu heilig gemacht (Hebräer 10,29; 12,12). Sie wurden für heilig erklärt (1. Petrus 2,5. 9) und sie werden überall im Neuen Testament „Heilige“ genannt. Das ist ihr Status. Diese anfängliche Heiligung gleicht der Rechtfertigung (1. Korinther 6,11). „Gott hat euch als Erste zur Seligkeit erwählt in der Heiligung durch den Geist“ (2. Thessalonicher 2,13).

Aber Gottes Zweck für sein Volk geht über eine einfache Erklärung eines neuen Status hinaus – es ist eine Aussonderung für seinen Gebrauch, und sein Gebrauch umfasst eine moralische Verwandlung in seinem Volk. Menschen sind „ausersehen… zum Gehorsam an Jesus Christus“ (1. Petrus 1,2). Sie sollen in das Ebenbild Jesu Christi verwandelt werden (2. Korinther 3,18). Sie sollen nicht nur für heilig und gerecht erklärt werden, sie werden auch neu geboren. Ein neues Leben beginnt sich zu entwickeln, ein Leben, das sich in einer heiligen und gerechten Weise verhalten soll. Somit führt die anfängliche Heiligung zur Heiligung des Verhaltens.

Heiligung des Verhaltens

Sogar im Alten Testament sagte Gott seinem Volk, dass ihr heiliger Status eine Veränderung im Verhalten einschliesst. Die Israeliten sollten zeremonielle Unreinheit meiden, weil Gott sie auserwählt hatte (5Mo 14,21). Ihr heiliger Status hing von ihrem Gehorsam ab (5Mo 28,9). Die Priester sollten gewisse Sünden vergeben, weil sie heilig waren (3. Mose 21,6-7). Gottgeweihte mussten ihr Verhalten ändern, während sie ausgesondert waren (4. Mose 6,5).

Unsere Erwählung in Christus hat ethische Auswirkungen. Da uns der Heilige berufen hat, werden Christen ermahnt „in eurem ganzen Wandel heilig zu sein“ (1. Petrus 1,15-16). Als Gottes auserwähltes und heiliges Volk, sollen wir herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld zeigen (Kolosser 3,12).

Sünde und Unreinheit gehören sich nicht für Gottes Volk (Epheser 5,3; 2. Thessalonicher 4,3). Wenn sich Menschen selber von schändlichen Vorhaben reinigen, werden sie „geheiligt“ (2. Timotheus 2,21). Wir sollten unseren Leib auf eine Weise kontrollieren, der heilig ist (2. Thessalonicher 4,4). „Heilig“ wird häufig mit „untadelig“ verbunden (Epheser 1,4; 5,27; 2. Thessalonicher 2,10; 3,13; 5,23; Titus 1,8). Christen sind „berufen, heilig zu sein“ (1. Korinther 1,2), „einen heiligen Wandel zu führen“ (2. Thessalonicher 4,7; 2. Timotheus 1,9; 2. Petrus 3,11). Wir werden angewiesen, „der Heiligung nachzujagen“ (Hebräer 12,14). Wir werden angehalten, heilig zu sein (Römer 12,1), uns wird gesagt, dass wir „heilig gemacht werden“ (Hebräer 2,11; 10,14), und wir werden ermutigt, weiterhin heilig zu sein (Offenbarung 22,11). Wir werden durch das Werk Christi und die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns heilig gemacht. Er verändert uns von Innen heraus.

Dieses kurze Wortstudium zeigt, dass Heiligkeit und Heiligung etwas mit dem Verhalten zu tun haben. Gott sondert Menschen für einen Zweck als „heilig“ aus, auf dass sie ein heiliges Leben in der Nachfolge Christi führten. Wir werden gerettet, damit wir gute Werke und gute Früchte hervorbrächten (Epheser 2,8-10; Galater 5,22-23). Die guten Werke sind nicht die Ursache für das Heil, sondern eine Folge davon.

Gute Werke sind der Beweis, dass der Glaube einer Person echt ist (Jakobus 2,18). Paulus spricht vom „Gehorsam des Glaubens“ und sagt, dass sich der Glaube durch Liebe ausdrückt (Römer 1,5; Galater 5,6).

Lebenslanges Wachstum

Wenn Menschen zum Glauben an Christus kommen, sind sie im Glauben, in der Liebe, in Werken oder im Verhalten nicht perfekt. Paulus nennt die Korinther Heilige und Brüder, aber sie haben viele Sünden in ihrem Leben. Die zahlreichen Ermahnungen im Neuen Testament weisen darauf hin, dass die Leser nicht nur doktrinäre Belehrung brauchen, sondern auch Ermahnungen in Bezug auf das Verhalten. Der Heilige Geist ändert uns, aber er unterdrückt nicht den menschlichen Willen; ein heiliges Leben fliesst nicht automatisch aus dem Glauben. Jeder Christus muss Entscheidungen treffen, ob er Richtiges oder Falsches tun möchte, sogar während Christus in uns arbeitet, um unsere Begierden zu verändern.

Das „alte Ich“ mag tot sein, aber Christen müssen es auch ablegen (Römer 6,6-7; Epheser 4,22). Wir müssen fortfahren, die Werke des Fleisches zu töten, die Überreste des alten Ich (Römer 8,13; Kolosser 3,5). Obwohl wir der Sünde gestorben sind, ist die Sünde weiterhin in uns, und wir sollten sie nicht regieren lassen (Römer 6,11-13). Gedanken, Emotionen und Entscheidungen müssen bewusst nach dem göttlichen Muster geformt werden. Heiligkeit ist etwas, dem man nachjagen muss (Hebräer 12,14).

Uns ist aufgetragen, vollkommen zu sein und Gott mit unserem ganzen Herzen zu lieben (Matthäus 5,48;
22,37). Auf Grund der Begrenzungen des Fleisches und der Überreste des alten Ich, sind wir nicht in der Lage, dieses perfekt zu sein. Sogar Wesley, der mutig über „Vollkommenheit“ sprach, erklärte, dass er nicht vollständige Abwesenheit von Unvollkommenheit meinte.5 Wachstum ist immer möglich und befohlen. Wenn ein Mensch christliche Liebe hat, wird er oder sie danach streben, zu lernen, wie er sie auf bessere Art und Weise, mit weniger Fehlern, ausdrücken kann.

Der Apostel Paulus war mutig genug zu sagen, dass sein Verhalten „heilig, gerecht und untadelig“ war (2. Thessalonicher 2,10). Aber er hat nicht behauptet, vollkommen zu sein. Vielmehr streckte er sich nach diesem Ziel aus, und er ermahnte andere, nicht zu meinen, dass sie ihr Ziel erreicht hätten (Philipper 3,12-15). Alle Christen benötigen Vergebung (Matthäus 6,12; 1. Johannes 1,8-9) und müssen in Gnade und Erkenntnis wachsen (2. Petrus 3,18). Heiligung sollte während des ganzen Lebens zunehmen.

Aber unsere Heiligung wird in diesem Leben nicht vollendet werden. Grudem erklärt: „Wenn wir schätzen, dass Heiligung die ganze Person einschliesst, einschliesslich unseres Leibes (2. Korinther 7,1; 2. Thessalonicher 5,23), dann erkennen wir, dass die Heiligung nicht gänzlich abgeschlossen sein wird, bis der Herr zurückkehrt und wir neue Auferstehungsleiber erhalten.“6 Erst dann werden wir von aller Sünde befreit werden und einen verherrlichten Leib, wie Christus ihn hat, erhalten (Philipper 3,21; 1. Johannes 3,2). Wegen dieser Hoffnung wachsen wir in der Heiligung, indem wir uns selbst reinigen (1. Johannes 3,3).

Biblische Ermahnung zur Heiligung

Wesely sah ein pastorales Bedürfnis, die Gläubigen zum praktischen Gehorsam, der aus der Liebe resultiert, zu ermahnen. Das Neue Testament enthält viele solche Ermahnungen, und es ist richtig, diese zu predigen. Es ist richtig, das Verhalten im Motiv der Liebe zu verankern und schlussendlich in
unserer Einheit mit Christus durch den Heiligen Geist, der die Quelle der Liebe ist.

Obwohl wir Gott alle Ehre geben, und erkennen, dass Gnade unser ganzes Verhalten initiieren muss, folgern wir auch, dass eine solche Gnade im Herzen aller Gläubigen gegenwärtig ist, und wir ermahnen sie, auf diese Gnade zu reagieren.

McQuilken bietet einen praktischen, statt einen dogmatischen Ansatz.7 Er besteht nicht darauf, dass alle Gläubigen bei der Heiligung ähnliche Erfahrungen haben müssen. Er befürwortet hohe Ideale, ohne jedoch Perfektion vorauszusetzen. Seine Ermahnung zum Dienst als Endresultat der Heiligung ist gut. Er betont die schriftlichen Warnungen über Abfall vom Glauben, statt von theologischen Schlussfolgerungen über die Ausdauer der Heiligen eingeengt zu werden.

Seine Betonung auf dem Glauben ist hilfreich, da der Glaube die Basis für jedes Christentum ist, und der Glaube hat in unserem Leben praktische Konsequenzen. Die Mittel des Wachstums sind praktisch: Gebet, die Heilige Schrift, Gemeinschaft, und ein zuversichtliches Herangehen an Prüfungen. Robertson ermahnt Christen zu grösserem Wachstum und Zeugnis, ohne die Anforderungen und Erwartungen zu übertreiben.

Christen werden ermahnt, das zu werden, was sie nach Gottes Deklaration bereits sind; der Imperativ folgt dem Indikativ. Christen sollen ein heiliges Leben führen, weil Gott sie für heilig erklärt, für seinen Gebrauch bestimmt hat.

Michael Morrison


1 R.E. Allen, ed. The Concise Oxford Dictionary of Current English, 8. Ausgabe, (Oxford, 1990), S. 1067.

2 Im Alten Testament (AT) ist Gott heilig, sein Name ist heilig, und er ist der Heilige (kommt insgesamt mehr als 100 Mal vor). Im Neuen Testament (NT) wird „heilig“ öfter auf Jesus als auf den Vater angewandt (14 Mal gegenüber drei Mal), aber noch viel öfter auf den Geist (neunzigmal). Das AT verweist etwa 36 Mal auf das heilige Volk (Gottgeweihte, Priester und das Volk), gewöhnlich in Bezug auf ihren Status; das NT verweist etwa 50 Mal auf das heilige Volk. Das AT verweist etwa 110 Mal auf heilige Stätten; das NT nur 17 Mal. Das AT bezieht sich ca. 70 Mal auf heilige Dinge; das NT nur drei Mal als Bild für ein heiliges Volk. Das AT verweist in 19 Versen auf heilige Zeiten; das NT bezeichnet Zeit nie als heilig. In Bezug auf Orte, Dinge und Zeit bezieht sich Heiligkeit auf einen ausgewiesenen Status, nicht auf ein moralisches Verhalten. In beiden Testamenten ist Gott heilig und Heiligkeit kommt von ihm, aber die Art und Weise, wie Heiligkeit Menschen betrifft, ist unterschiedlich. Die neutestamentliche Betonung von Heiligkeit bezieht sich auf Menschen und ihr Verhalten, nicht auf einen spezifischen Status für Dinge, Orte und Zeiten.

3 Besonders im AT bedeutet Heiligung nicht das Heil. Dies ist offensichtlich, weil auch die Dinge, Orte und Zeiten geheiligt wurden, und diese beziehen sich auf das Volk Israel. Eine Verwendung des Wortes „Heiligung“, die sich nicht auf das Heil bezieht, kann man auch in 1. Korinther 7,4 finden – ein Ungläubiger war in einer bestimmten Weise in eine besondere Kategorie für Gottes Gebrauch gestellt worden. Hebräer 9,13 verwendet den Begriff „heiligen“ als Verweis auf einen zeremoniellen Status unter dem Alten Bund.

4 Grudem merkt an, dass in mehreren Passagen im Hebräerbrief das Wort „geheiligt“ annähernd gleichwertig mit dem Wort „gerechtfertigt“ im Vokabular des Paulus ist (W. Grudem, Systematic Theology ,Zondervan 1994, S. 748, Anmerkung 3.)

5 John Wesley, „A Plain Account of Christian Perfection“, in Millard J. Erickson, ed. Readings in Christian Theology, Volume 3, The New Life (Baker, 1979), S. 159.

6 Grudem, S. 749.

7 J. Robertson McQuilken, „The Keswick Perspective“, Five Views of Sanctification (Zondervan, 1987), S. 149-183.


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