Matthäus 6: Die Bergpredigt
Jesus lehrt einen hohen Massstab der Gerechtigkeit, der von uns eine innere Einstellung der Aufrichtigkeit erfordert. Mit bestürzenden Worten warnt er uns vor Zorn, Ehebruch, Schwüren und Vergeltung. Er sagt, dass wir sogar unsere Feinde zu lieben haben (Matthäus 5). Die Pharisäer waren bekannt für strenge Richtlinien, aber unsere Gerechtigkeit sollte besser sein, als die der Pharisäer (was ziemlich bestürzend sein kann, wenn wir vergessen, was an früherer Stelle der Bergpredigt über Barmherzigkeit verheissen wurde). Wahre Gerechtigkeit ist eine Herzenseinstellung. Im sechsten Kapitel des Matthäusevangeliums sehen wir, wie Jesus dieses Thema deutlich macht, indem er Religion als Show verurteilt.
Wohltätigkeit im Verborgenen
„Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt“ (V. 1-2).
Zu Jesu Zeiten gab es Leute, die aus Religion eine Show machten. Sie stellten sicher, dass die Leute ihre guten Werke beachten konnten. Sie erhielten dafür von vielen Seiten Anerkennung. Das ist alles, was sie erhalten, sagt Jesus, denn ihr Handeln ist nur Schauspielerei. Es ging ihnen nicht darum, Gott zu dienen, sondern in der öffentlichen Meinung gut dazustehen; eine Haltung, die Gott nicht belohnen wird. Religiöses Gehabe sieht man heute auch auf Kanzeln, bei der Ausübung von Ämtern, der Leitung eines Bibelstudiums oder in Beiträgen von Kirchenzeitungen. Man mag den Armen Nahrung geben und das Evangelium predigen. Äusserlich sieht es wie ernsthaftes Dienen aus, aber die Einstellung kann ganz anders sein. „Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten“ (V. 3-4).
Natürlich weiss unsere „Hand“ nichts von unserem Handeln. Jesus benutzt eine Redewendung, die ausdrückt, dass Almosengeben nicht zu Showzwecken dient, weder zugunsten anderer noch zum Eigenlob. Wir tun es für Gott, nicht des eigenen Ansehens wegen. Es ist nicht buchstäblich zu verstehen, dass Wohltätigkeit nur im Geheimen stattfinden darf. Jesus hat schon vorher gesagt, dass unsere guten Taten sichtbar sein sollten, damit die Leute Gott preisen (Matthäus 5,16). Der Fokus liegt auf unserer Einstellung, nicht auf unserer Aussenwirkung. Unser Motiv sollte darin bestehen, gute Werke zu Gottes Ehre zu tun, nicht um unserer eigenen Ehre willen.
Das Gebet im Verborgenen
Jesus sagte Vergleichbares über das Gebet: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Strassenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schliess die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten“ (V. 5-6). Jesus stellt kein neues Gebot gegen öffentliches Beten auf. Manchmal hat selbst Jesus in der Öffentlichkeit gebetet. Der Punkt ist, dass wir nicht beten sollten, um einfach nur gesehen zu werden, auch sollten wir das Gebet nicht aus Angst vor der öffentlichen Meinung vermeiden. Das Gebet verehrt Gott und ist nicht dazu da, sich selbst gut zu präsentieren.
„Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiss, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet“ (V. 7-8). Gott kennt unsere Nöte, trotz- dem sollen wir ihn bitten (Philipper 4,6) und darin beharrlich sein (Lukas 18,1-8). Der Erfolg des Gebets hängt von Gott ab, nicht von uns. Wir müssen nicht eine gewisse Anzahl von Worten erreichen oder einen Mindestzeitrahmen einhalten, weder eine besondere Gebetshaltung einnehmen, noch schöne Worte wählen. Jesus gab uns ein Mustergebet – ein Beispiel für Einfachheit. Es mag als Richtschnur dienen. Auch andere Entwürfe sind willkommen.
„Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ (V. 9-10). Dieses Gebet beginnt mit einem einfachen Lob – nichts kompliziertes, einfach eine Formulierung des Wunsches, dass Gott geehrt wird und dass die Menschen sich gegenüber seinem Willen empfänglich zeigen. „Unser tägliches Brot gib uns heute“ (V. 11). Hiermit erkennen wir an, dass unser Leben von unserem allmächtigen Vater abhängt. Wir können zwar zu einem Laden gehen, um Brot und anderes zu kaufen, sollten uns aber erinnern, dass Gott derjenige ist, der dies ermöglicht. Wir sind jeden Tag auf ihn angewiesen. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ (V. 12-13). Wir benötigen nicht nur Nahrung, sondern auch eine Beziehung mit Gott – eine Beziehung, die wir oft vernachlässigen und weshalb wir oft der Vergebung bedürfen. Dieses Gebet erinnert uns auch daran, dass wir gegenüber anderen barmherzig sein sollen, wenn wir Gott bitten, uns gnädig zu sein. Wir alle sind keine geistlichen Riesen – wir brauchen göttliche Hilfe, um Versuchungen widerstehen zu können.
Hier beendet Jesus das Gebet und weist abschliessend nochmals auf unsere Verantwortung hin, uns gegenseitig zu vergeben. Je besser wir verstehen, wie gut Gott ist und wie gross unser Versagen ist, umso besser werden wir verstehen, dass wir Barmherzigkeit brauchen und bereit sein müssen, anderen zu vergeben (V. 14-15). Das sieht nun mal wie ein Vorbehalt aus: „Ich werde dies erst dann tun, wenn du jenes getan hast“. Ein grosses Problem besteht darin: Menschen sind nicht sehr gut im Vergeben. Keiner von uns ist vollkommen und niemand vergibt vollkommen. Fordert Jesus uns auf, etwas zu tun, das selbst Gott nicht tun würde? Wäre es denkbar, dass wir anderen bedingungslos vergeben müssten, während er seine Vergebung an Bedingungen knüpft? Wenn Gott seine Vergebung von unserer Vergebung abhängig machen würde und wir es genauso tun würden, dann würden wir anderen erst vergeben, wenn sie auch vergeben hätten. Wir würden in einer endlosen Schlange anstehen, die sich nicht bewegt. Wenn unsere Vergebung darauf beruht, dass wir anderen vergeben, dann ist unser Heil von unserem Tun – von unseren Werken abhängig. Deshalb haben wir theologisch und praktisch ein Problem, wenn wir Matthäus 6,14-15 wörtlich nehmen. An dieser Stelle können wir der Überlegung hinzufügen, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist, bevor wir auch nur geboren wurden. Die Schrift sagt, dass er unsere Sünden ans Kreuz genagelt und die ganze Welt mit sich versöhnt hat.
Auf der einen Seite lehrt uns Matthäus 6, dass unsere Vergebung von Bedingungen abhängig zu sein scheint. Auf der anderen Seite lehrt uns die Schrift, dass unsere Sünden bereits vergeben sind – was die Sünde der unterlassenen Vergebung einschliessen würde. Wie sind diese beiden Vorstellungen in Einklang zu bringen? Entweder haben wir die Verse der einen Seite falsch verstanden oder die der anderen Seite. Wir können nun als weiteres Argument in die Überlegungen einbringen, dass Jesus oft das Element der Übertreibung in seinen Gesprächen verwendet hat. Wenn dein Auge dich verführt, dann reiss es aus. Wenn du betest, geh in dein Kämmerlein (doch Jesus betete nicht immer im Haus). Wenn du den Notleidenden gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut. Widerstrebt nicht einem üblen Menschen (doch Paulus tat es). Sagt nicht mehr als Ja oder Nein (doch Paulus tat es). Ihr sollt niemanden Vater nennen – und doch, wir tun es alle.
Daraus können wir erkennen, dass in Matthäus 6,14-15 ein weiteres Beispiel für Übertreibung verwendet wurde. Das heisst nicht, dass wir das ignorieren können – Jesus wollte damit darauf hinweisen, wie wichtig es ist, anderen Menschen zu vergeben. Wenn wir möchten, dass Gott uns vergibt, dann sollten wir auch anderen vergeben. Wenn wir in einem Reich leben wollen, in dem uns Vergebung zuteil wurde, so müssen wir in derselben Weise danach leben. Wie wir uns wünschen, von Gott geliebt zu sein, so sollten wir unsere Mitmenschen lieben. Wenn wir darin versagen, wird es Gottes Wesen, zu lieben, nicht verändern. Wahr bleibt, wenn wir geliebt werden möchten, sollten wir das auch tun. Obwohl es sich so anhört, als sei dies alles von der Erfüllung einer Vorbedingung abhängig, besteht der Zweck des Gesagten darin, uns zur Liebe und zur Vergebung zu ermutigen. Paulus hat es wie eine Anweisung formuliert: „Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kolosser 3,13). Hiermit wird ein Beispiel gegeben; es geht nicht um eine Voraussetzung.
Im Vaterunser bitten wir um das tägliche Brot, obwohl wir es (in den meisten Fällen) bereits im Haus haben. In derselben Weise bitten wir um Vergebung, obwohl wir sie bereits erhalten haben. Das ist ein Eingeständnis, dass wir etwas falsch gemacht haben und dass sich dies auf unsere Beziehung mit Gott auswirkt, jedoch in der Zuversicht, dass er bereit ist, zu vergeben. Es ist Teil dessen, was es bedeutet, wenn wir die Erlösung eher als ein Geschenk erwarten, denn als etwas, das wir durch unsere Leistung verdienen könnten.
Vom Fasten im Verborgenen
Jesus kommt auf eine andere religiöse Verhaltensweise zu sprechen: „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten“ (V. 16-18). Wenn wir fasten, so waschen und kämmen wir uns wie immer, da wir vor Gott kommen und nicht, um die Leute zu beeindrucken. Wieder liegt die Betonung auf der Einstellung; es geht nicht darum, mit dem Fasten aufzufallen. Wenn uns jemand fragt, ob wir gerade fasten, so können wir wahrheitsgemäss antworten – sollten aber niemals hoffen, gefragt zu werden. Unser Ziel ist, nicht aufzufallen, sondern Gottes Nähe zu suchen.
Bei allen drei Themen weist Jesus auf denselben Punkt hin. Ob wir Almosen geben, beten oder fasten, es geschehe „im Verborgenen“. Wir trachten nicht danach, Menschen zu beeindrucken, verstecken uns aber auch nicht vor ihnen. Wir dienen Gott und ehren ihn allein. Er wird uns belohnen. Die Belohnung mag ebenso wie unsere Tätigkeit im Verborgenen geschehen. Sie ist real und geschieht nach seiner göttlichen Güte.
Schätze im Himmel
Konzentrieren wir uns darauf, Gott wohlzugefallen. Erfüllen wir seinen Willen und wertschätzen seine Belohnungen höher als vergängliche Belohnungen dieser Welt. Öffentliches Lob ist eine kurzlebige Form der Belohnung. Jesus spricht hier über die Flüchtigkeit physischer Dinge. „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen“ (V. 19-20). Weltliche Reichtümer sind nur von kurzer Dauer. Jesus gibt uns den Rat, eine bessere Investitionsstrategie zu verfolgen – nach den dauerhaften Werten Gottes zu trachten durch stille Wohltätigkeit, unauffälliges Gebet und Fasten im Verborgenen.
Wenn wir Jesus zu wörtlich nehmen, könnte man meinen, er würde ein Gebot gegen das Sparen für das Pensionsalter aufstellen. Es geht aber tatsächlich um unser Herz – was wir als wertvoll betrachten. Wir sollten die himmlischen Belohnungen höher wertschätzen als unsere weltlichen Ersparnisse. „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (V. 21). Wenn wir die Dinge für wertvoll halten, die Gott wertschätzt, dann wird unser Herz auch unser Verhalten richtig lenken.
„Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie gross wird dann die Finsternis sein!“ (V. 22-23). Anscheinend nutzt Jesus hier ein Sprichwort seiner Zeit und wendet es in Beug auf die Geldgier an. Wenn wir uns gehörende Dinge in der richtigen Weise ansehen, werden wir Möglichkeiten erkennen, Gutes zu tun und grosszügig zu sein. Wenn wir jedoch selbstsüchtig und neidisch sind, so begeben wir uns in moralische Finsternis – korrumpiert von unseren Süchten. Wonach trachten wir in unserem Leben – zu nehmen oder zu geben? Sind unsere Bankkonten so eingerichtet, dass sie uns dienen oder ermöglichen sie uns, anderen zu dienen? Unsere Ziele leiten uns zum Guten oder korrumpieren uns. Wenn unser Inneres korrupt ist, wenn wir nur nach den Belohnungen dieser Welt trachten, dann sind wir wirklich verdorben. Was motiviert uns? Ist es das Geld oder ist es Gott? „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (V. 24). Wir können nicht gleichzeitig Gott und der öffentlichen Meinung dienen. Wir sollten Gott allein und ohne Konkurrenz dienen.
Wie könnte eine Person dem Mammon „dienen“? Indem sie glaubt, das Geld bringe ihr Glück, es lasse sie als äusserst machtvoll erscheinen und sie könne ihm hohen Wert beimessen. Diese Einschätzungen sind besser gegenüber Gott angebracht. Er ist derjenige, der uns Glück geben kann, er ist die wahre Quelle von Sicherheit und Leben; er ist die Macht, die uns am besten helfen kann. Wir sollten ihn höher wertschätzen und ehren als alles andere, weil er an erster Stelle steht.
Die wahre Sicherheit
„Darum sage ich euch: Sorgt nicht um ... was ihr essen und trinken werdet; ... was ihr anziehen werdet. Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiss, dass ihr all dessen bedürft“ (V. 25-32). Gott ist ein guter Vater und er wird für uns sorgen, wenn er die höchste Stelle in unserem Leben einnimmt. Wir brauchen uns nicht um die Meinung der Leute zu kümmern und uns nicht über Geld oder Güter ängstigen. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“ (V. 33) Wir werden lange genug leben, genug zu essen erhalten, werden ausreichend versorgt, wenn wir Gott lieben.
von Michael Morrison