Lebensgemeinschaft mit Gott
Im 2. Jh. n. Chr. machte Marcion, den Vorschlag, das Alte Testament (AT) abzuschaffen. Er hatte seine eigene Version des Neuen Testamentes (NT) mit Hilfe des Lukas-Evangeliums und einiger Paulus-Briefe zusammengestellt, dabei aber alle Zitate aus dem AT entfernt, weil er meinte, dass der Gott des ATs keine grosse Bedeutung habe; er sei doch nur der Stammesgott Israels. Wegen Verbreitung dieser Ansicht wurde Marcion aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen. Die frühe Kirche begann daraufhin ihren eigenen Kanon der Schriften zusammen zu stellen, bestehend aus den vier Evangelien und allen Paulusbriefen. Auch hielt die Kirche am AT als Bestandteil der Bibel fest, in der festen Überzeugung, dass uns dessen Inhalt hilft zu verstehen, wer Jesus war und was er für unsere Errettung getan hat.
Für viele ist das Alte Testament recht verwirrend – so ganz anders als das NT. Die lange Geschichte und die vielen Kriege scheinen nicht viel mit Jesus oder dem christlichen Leben in unserer heutigen Zeit zu tun zu haben. Einerseits gibt es im AT die Gebote und Satzungen zu beachten und andererseits sieht es so aus, als würden Jesus und Paulus davon völlig abweichen. Zum einen lesen wir über den antiken Judaismus und zum anderen geht es um das Christentum.
Es gibt Glaubensgemeinschaften, die das AT wichtiger nehmen als andere Gemeinschaften; sie halten den Sabbat als „siebenten Tag“, beachten die Speisevorschriften der Israeliten und feiern sogar einige der jüdischen Jahresfeste. Andere Christen lesen das Alte Testament überhaupt nicht und entsprechen eher dem eingangs erwähnten Marcion. Einige Christen sind sogar antisemitisch. Als in Deutschland die Nationalsozialisten regierten, wurde diese Einstellung unglücklicherweise von Kirchen unterstützt. Dies hat sich auch in der Abneigung gegenüber dem AT und den Juden gezeigt.
Trotzdem enthalten die Schriften des Alten Testamentes Aussagen über Jesus Christus (Johannes 5,39; Lukas 24,27) und wir tun gut daran zu hören, was sie uns zu sagen haben. Des Weiteren zeigen sie auf, worin der höhere Zweck der menschlichen Existenz besteht und warum Jesus kam, um uns zu retten. Das Alte sowie das Neue Testament bezeugen, dass Gott in Gemeinschaft mit uns leben will. Angefangen vom Garten in Eden bis hin zum Neuen Jerusalem – Gottes Ziel besteht darin, dass wir in Harmonie mit ihm leben.
Im Garten von Eden
Im 1. Buch Mose wird beschrieben, wie ein allmächtiger Gott das Universum schuf, indem er die Dinge einfach benannte. Gott sprach: „Es werde und es geschah so“. Er gab die Anweisung und es passierte einfach. Im Gegensatz dazu berichtet das 2. Kapitel aus dem 1. Buch Mose von einem Gott, der sich seine Hände schmutzig machte. Er tritt in seine Schöpfung ein und formte einen Menschen aus Erde, pflanzt Bäume im Garten und gestaltete eine Gefährtin für den Mann.
Keine der Niederschriften gibt uns ein vollständiges Bild des Geschehens, es lassen sich aber verschiedene Aspekte des ein und selben Gottes erkennen. Obwohl er die Macht hatte, alles durch sein Wort zu schaffen, beschloss er, persönlich in die Schöpfung der Menschen einzugreifen. Er sprach mit Adam, brachte die Tiere zu ihm und arrangierte alles so, dass es für ihn eine Freude sein würde, eine Gefährtin um sich zu haben.
Obwohl das 3. Kapitel aus dem 1. Buch Mose von einer tragischen Entwicklung berichtet, zeigt es doch auch mehr von Gottes Sehnsucht nach den Menschen. Nachdem die Menschen zum ersten Mal gesündigt hatten, ging Gott so, wie sonst auch durch den Garten (1 Mose 3,8). Der allmächtige Gott hatte die Gestalt eines Menschen angenommen und man konnte seine Schritte hören. Er hätte auch einfach aus dem Nichts erscheinen können, wenn er das gewollt hätte, doch er hatte sich entschieden, dem Mann und der Frau auf menschliche Weise zu begegnen. Offensichtlich hat es sie nicht überrascht; Gott wird schon oft mit ihnen durch den Garten gegangen sein und mit ihnen gesprochen haben.
Bisher kannten sie keine Furcht, aber jetzt überwältigte sie die Angst und sie versteckten sich. Obwohl sie sich der Beziehung mit Gott entzogen, tat Gott dies nicht. Er hätte sich verärgert zurückziehen können, aber er gab seine Geschöpfe nicht auf. Es gab keine zuckenden Blitze mit Donner oder sonst einen Ausdruck göttlichen Zornes.
Gott fragte den Mann und die Frau, was geschehen sei und sie antworteten. Daraufhin erklärte er ihnen, welche Konsequenzen sie aufgrund ihres Tuns nun zu tragen hätten. Dann sorgte er für Kleidung (1 Mose 3,21) und stellte sicher, dass sie nicht ewig in ihrem Zustand der Entfremdung und Scham bleiben mussten (1 Mose 3,22-23). Aus dem ersten Buch Mose erfahren wir von Gesprächen Gottes mit Kain, Noah, Abram, Hagar, Abimelech und anderen. Besonders wichtig für uns ist das Versprechen, das Gott dem Abraham gab: „Ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, dass es ein ewiger Bund sei“ (1 Mose 17,1-8). Gott versprach, dass er eine ständige Beziehung mit seinem Volk haben werde.
Die Erwählung eines Volkes
Viele kennen die Grundzüge der Geschichte vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten: Gott berief Mose, brachte Plagen über Ägypten, führte Israel durch das Rote Meer zum Berg Sinai und gab ihnen dort die Zehn Gebote. Dabei übersehen wir oft, warum Gott das alles tat. Gott sprach zu Mose: „Ich will euch annehmen zu meinem Volk und will euer Gott sein“ (2 Mose 6,7). Gott wollte eine persönliche Beziehung herstellen. Personenbezogene Verträge wie Eheschliessungen wurden in jener Zeit mit den Worten, „Du wirst meine Frau sein und ich werde dein Ehemann sein“, geschlossen. Adoptionen (gewöhnlich zum Zwecke der Erbschaftsregelung) wurden mit den Worten, „Du wirst mein Sohn sein und ich werde dein Vater sein“ besiegelt. Als Mose mit dem Pharao sprach, zitierte er Gott mit den Worten: „Israel ist mein erstgeborener Sohn; und ich gebiete dir, dass du meinen Sohn ziehen lässt, dass er mir diene” (2 Mose 4,22-23). Die Angehörigen des Volkes Israel waren seine Kinder – seine Familie – ausgestattet mit Erbrechten.
Gott bot seinem Volk einen Bund an, der den direkten Zugang zu ihm erlaubte (2. Mose 19,5-6) – aber das Volk forderte Mose auf: „Rede du mit uns, wir wollen hören; aber lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben“ (2 Mose 20,19). Wie Adam und Eva überkam sie die Angst. Mose bestieg den Berg, um mehr Anweisungen von Gott zu erhalten (2 Mose 24,19). Dann folgen verschiedene Kapitel über die Stiftshütte, deren Einrichtung und die Gottesdienstordnungen. Über all diesen Details sollten wir den Zweck des Ganzen nicht übersehen: „Sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich unter ihnen wohne“ (2 Mose 25,8).
Angefangen vom Garten Eden, über die Verheissungen an Abraham, über die Erwählung eines Volkes aus der Sklaverei und sogar in alle Ewigkeit möchte Gott in Gemeinschaft mit seinem Volk leben. Die Stiftshütte war der Ort, wo Gott bei seinem Volk wohnte und es Zugang zu ihm hatte. Gott sprach zu Mose: „Ich will unter den Israeliten wohnen und ihr Gott sein, dass sie erkennen sollen, ich sei der Herr, ihr Gott, der sie aus Ägyptenland führte, damit ich unter ihnen wohne“ (2 Mose 29,45-46).
Als Gott die Führung an Josua übertrug, gebot er Mose, was er ihm sagen sollte: „Der Herr, dein Gott, wird selber mit dir ziehen und wird die Hand nicht abtun und dich nicht verlassen“ (5. Mose 31,6-8). Dieses Versprechen gilt auch uns heute (Hebräer 13,5). Das ist der Grund, warum Gott gleich zu Anfang die Menschen schuf und Jesus zu unserer Errettung sandte: Wir sind sein Volk. Er möchte mit uns leben.
von Michael Morrison