„Sie haben mich nicht ordiniert, deshalb verlasse ich die Kirche”, klagte Jason mit einer Bitterkeit in seiner Stimme, wie ich es bisher von ihm nicht kannte. „Ich habe so viel für diese Gemeinde getan – ich habe Bibelstudien abgehalten, die Kranken besucht und wieso um alles in der Welt haben sie ausgerechnet ... ordiniert? Seine Predigten sind zum Einschlafen, sein Bibelwissen ist dürftig und unfreundlich ist er auch noch!“ Jasons Verbitterung überraschte mich, doch etwas weit Ernsteres zeigte sich dadurch an der Oberfläche – sein Stolz.
Die Art von Stolz, die Gott hasst (Sprüche 6,16-17), ist das Überschätzen der eigenen Person und das Abwerten anderer. In Sprüche 3,34 verweist König Salomo darauf, dass Gott „über die Spötter spottet“. Gott stellt sich gegen diejenigen, deren Lebensweise bewirkt, dass sie es absichtlich unterlassen, auf Gottes Hilfe zu bauen. Wir alle haben mit Stolz zu kämpfen, der oft so subtil ist, dass wir nicht einmal merken, wie er sich auswirkt. „Aber“, so führt Salomo weiter aus: „den Demütigen wird er Gnade geben“. Wir haben die Wahl. Wir können unsere Gedanken und unser Verhalten von Stolz oder von Demut leiten lassen. Was ist Demut und was ist der Schlüssel zur Demut? Wo überhaupt anfangen? Wie können wir uns für Demut entscheiden und von Gott all das erhalten, was er uns geben möchte?
Der mehrfache Unternehmer und Autor Steven K. Scott erzählt die Geschichte eines Multimillionen Dollar reichen Unternehmers, der Tausende von Angestellten beschäftigte. Obwohl er alles hatte, was man sich mit Geld kaufen konnte, war er unglücklich, verbittert und schnell aufbrausend. Seine Angestellten, ja sogar seine Familie, fanden ihn unausstehlich. Seine Frau konnte sein aggressives Gehabe nicht mehr ertragen und bat ihren Pastor, ein Gespräch mit ihm zu führen. Der Pastor hörte sich die Reden des Mannes über dessen Errungenschaften an und schnell war ihm klar, dass der Stolz das Herz und den Verstand dieses Mannes regierte. Er behauptete, ganz allein sein Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut zu haben. Er hätte sich seinen Universitätsabschluss hart erarbeitet. Er brüstete sich, alles selbst geschafft zu haben und er habe niemandem etwas zu verdanken. Daraufhin fragte ihn der Pastor: „Wer hat Ihnen die Windeln gewechselt? Wer hat Sie als Baby gefüttert? Wer hat Ihnen das Lesen und Schreiben beigebracht? Wer gab Ihnen die Jobs, die es Ihnen ermöglichten, das Studium zu absolvieren? Wer serviert Ihnen das Essen in der Kantine? Wer reinigt die Toiletten in Ihrem Unternehmen?“ Betreten senkte der Mann seinen Kopf. Wenige Augenblicke danach gestand er mit Tränen in den Augen: „Jetzt, wo ich darüber nachdenke, sehe ich ein, dass ich das alles nicht aus eigener Kraft geschafft habe. Ohne die Güte und Unterstützung anderer, würde ich wahrscheinlich gar nichts erreicht haben. Der Pastor fragte ihn: „Meinen Sie nicht auch, dass diese ein wenig Dankbarkeit verdient hätten?“
Das Herz des Mannes hat sich verändert, anscheinend von einem Tag zum andern. In den folgenden Monaten schrieb er Dankesbriefe an jeden seiner Angestellten und an alle Personen, die soweit er denken konnte, etwas zu seinem Leben beigetragen hatten. Er spürte nicht nur ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, sondern behandelte jeden in seinem Umfeld mit Respekt und Wertschätzung. Innerhalb eines Jahres war aus ihm ein anderer Mensch geworden. Freude und Frieden hatten Zorn und Aufruhr in seinem Herzen ersetzt. Er sah um Jahre jünger aus. Seine Angestellten mochten ihn, weil er sie mit Achtung und Respekt behandelte, was dank wahrer Demut nun hervorgerufen wurde.
Geschöpfe der Initiative Gottes Diese Geschichte zeigt uns den Schlüssel zur Demut. So wie der Unternehmer verstand, dass er nichts ohne die Hilfe anderer erreichen konnte, so sollten auch wir verstehen, dass Demut mit der Einsicht beginnt, dass wir ohne Gott nichts tun können. Wir hatten keinen Einfluss auf unseren Eintritt ins Dasein und wir können uns nicht rühmen oder behaupten, irgendetwas Gutes aus eigener Kraft hervorgebracht zu haben. Wir sind Geschöpfe dank der Initiative Gottes. Wir waren Sünder, doch Gott ergriff die Initiative, ging auf uns zu und machte uns mit seiner unbeschreiblichen Liebe bekannt (1 Johannes 4,19). Ohne ihn können wir nichts tun. Alles, was wir tun können, ist: „Ich danke dir“ zu sagen und in der Wahrheit als die Berufenen in Jesus Christus zu ruhen – angenommen, vergeben und bedingungslos geliebt.
Eine andere Möglichkeit, Grösse zu messen Stellen wir uns die Frage: „Wie kann ich demütig sein“? Sprüche 3,34 war fast 1000 Jahre nachdem Salomo seine weisen Worte verfasst hatte, so wahr und aktuell, dass die Apostel Johannes und Petrus darauf in ihren Lehren zurückgriffen. In seinem Brief bei dem es oft um Unterordnen und Dienen geht, schreibt Paulus: „Ihr alle sollt euch ... mit Demut bekleiden [umgürten]“ (1 Petrus 5,5; Schlachter 2000). Mit dieser Metapher benutzt Petrus das Bild eines Dieners, der sich eine spezielle Schürze umbindet und damit seine Bereitschaft zu dienen kundtut. Petrus sagte: „Seid alle bereit, einander demütig zu dienen.“ Zweifellos dachte Petrus dabei an das letzte Abendmahl, als Jesus sich einen Schurz umgürtete und den Jüngern die Füsse wusch (Johannes 13,4-17). Der von Johannes verwendete Ausdruck „sich umgürten“ ist derselbe, den Petrus benutzte. Jesus nahm den Schurz und machte sich zum Diener aller. Er kniete sich nieder und wusch ihnen die Füsse. Indem er dies tat, führte er eine neue Lebensweise ein, bei der Grösse daran gemessen wird, wie sehr wir anderen dienen. Stolz schaut auf andere herab und spricht „Dient mir!“, Demut verneigt sich vor anderen und spricht „Wie kann ich euch dienen?“ Das ist das Gegenteil dessen, was in der Welt geschieht, in der man aufgefordert wird zu manipulieren, sich hervorzutun und sich in ein besseres Licht vor anderen zu setzen. Wir verehren einen demütigen Gott, der vor seinen Geschöpfen kniet, um ihnen zu dienen. Das ist doch erstaunlich!
„Tut, wie ich euch getan habe” Demütig zu sein, bedeutet nicht, dass wir minderwertig von uns denken oder eine geringe Meinung hinsichtlich unserer Talente und unseres Charakters haben. Es geht sicherlich auch nicht darum, sich als Nichts und Niemand darzustellen. Denn das wäre ein verdrehter Stolz, der es darauf anlegt, wegen seiner Demut gelobt zu werden! Demut hat nichts damit zu tun, eine Verteidigungshaltung einzunehmen, das letzte Wort haben zu wollen oder andere herunterzumachen, um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Stolz bläst uns auf, so dass wir uns unabhängig von Gott fühlen, uns selbst für wichtiger ansehen und ihn aus den Augen verlieren. Demut bewirkt, dass wir Gott untertan sind und anerkennen, dass wir völlig von ihm abhängig sind. Das bedeutet, dass wir nicht auf uns selbst sehen, sondern uns ganz Gott zuwenden, der uns liebt und uns besser ansieht, als wir es können.
Nachdem Jesus seinen Jüngern die Füsse gewaschen hatte, sprach er: „Tut, wie ich euch getan habe.“ Er sagte nicht, dass der einzige Weg zu dienen darin bestehe, anderen die Füsse zu waschen, sondern gab ihnen ein Beispiel, wie sie leben sollten. Demut hält ständig und bewusst Ausschau nach Möglichkeiten, um zu dienen. Sie hilft uns, die Wirklichkeit zu akzeptieren, die darin besteht, dass wir dank Gottes Gnade, seine Gefässe, seine Überbringer und Repräsentanten in der Welt sind. Mutter Teresa war ein Beispiel für „tätige Demut“. Sie sagte, dass sie das Gesicht Jesu in den Gesichtern all derer gesehen habe, denen sie geholfen hätte. Wir mögen nicht als die nächste Mutter Teresa berufen sein, aber wir sollten uns einfach mehr um die Nöte unserer Mitmenschen kümmern. Wann immer wir versucht sind, uns zu wichtig zu nehmen, empfiehlt es sich, die Worte des Erzbischofs Helder Camara in Erinnerung zu rufen: „Wenn ich in der Öffentlichkeit auftrete und eine grosse Zuhörerschaft mir applaudiert und zujubelt, dann wende ich mich an Christus und sage ihm einfach: Herr, das ist dein triumphaler Einzug in Jerusalem! Ich bin bloss der kleine Esel, auf dem du reitest“.
von Gordon Green