Wenn in antiken Stammesgesellschaften ein Mann ein Kind adoptieren wollte, sprach er in einer einfachen Zeremonie folgende Worte: „Ich werde ihm ein Vater sein und er wird mein Sohn werden. “Während der Heiratszeremnie wurde eine ähnliche Formulierung gesprochen: „Sie ist meine Frau und ich bin ihr Ehemann“. In Anwesenheit von Zeugen wurde die Beziehung, die sie miteinander eingingen, angezeigt und durch diese Worte wurde sie offiziell für gültig erklärt.
Als Gott seine Beziehung mit dem antiken Israel zum Ausdruck bringen wollte, verwendete er manchmal ähnliche Worte: „Ich bin Israels Vater und Ephraim ist mein erstgeborener Sohn“ (Jeremia 31,9). Er verwendete hierfür Worte, die eine Beziehung – wie die von Eltern und Kindern – beschreiben. Gott nutzt auch die Ehe zur Beschreibung der Beziehung: „Der dich gemacht hat, ist dein Mann …er hat dich zu sich gerufen wie eine Frau“ (Jesaja 54,5-6). „Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit“ (Hosea 2,21).
Wesentlich öfter wird die Beziehung auf folgende Weise formuliert: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.“ Im antiken Israel besagte das Wort „Volk“, das eine starke Beziehung untereinander bestand. Als Rut zu Noomi sagte: „Dein Volk ist mein Volk“ (Rut 1,16), versprach sie, in eine neue und dauerhafte Beziehung einzutreten. Sie erklärte damit, wohin sie nun gehören würde. Bestätigung in Zeiten des Zweifels Wenn Gott sagt, „Ihr seid mein Volk”, betont er (wie Rut) die Beziehung stärker als die Zugehörigkeit. „Ich bin an dich gebunden, du bist wie eine Familie für mich“. Gott sagt dies in den Büchern der Propheten viel öfter, als in allen vorherigen Schriften zusammengenommen.
Warum wird das so oft wiederholt? Es lag an Israels mangelnder Treue, wodurch die Beziehung infrage gestellt wurde. Israel hatte seinen Bund mit Gott ignoriert und betete andere Götter an. Deshalb liess Gott zu, dass die nördlichen Stämme von Assyrien erobert und das Volk weggeführt wurde. Die meisten Propheten des Alten Testaments lebten kurz vor der Eroberung der Nation Juda und deren Wegführung in die Sklaverei durch die Babylonier.
Die Menschen fragten sich. Ist alles vorbei? Hat Gott uns verstossen? Die Propheten wiederholten mit Zuversicht: Nein, Gott hat uns nicht aufgegeben. Wir sind noch sein Volk und er ist noch unser Gott. Die Propheten sagten eine nationale Wiederherstellung voraus: die Leute würden in ihr Land zurückkehren und – was am wichtigsten ist – zu Gott zurückkehren. Die Zukunftsform wird oft benutzt: „Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein“. Gott hat sie nicht verstossen; er wird die Beziehung wieder herstellen. Er wird dies herbeiführen und es wird besser sein als es war.
„Ich habe Kinder grossgezogen und versorgt und durch mich haben sie es zu etwas gebracht, aber sie haben sich von mir abgewandt“, sagt Gott durch Jesaja. „Sie haben sich vom Herrn abgewandt, haben den Heiligen Israels verworfen und sich von ihm losgesagt“ (Jesaja 1,2 u. 4; Neues Leben). Die Folge davon war, dass das Volk in Gefangenschaft geriet. „Deshalb muss mein Volk wegziehen, weil es ohne Verstand ist“ (Jesaja 5,13; Neues Leben).
Es schien, als sei die Beziehung beendet. „Du hast dein Volk, das Haus Jakob, verstossen“, lesen wir in Jesaja 2,6. Das sollte jedoch nicht für immer gelten: „Fürchte dich nicht, mein Volk, das in Zion wohnt ... Denn es ist nur noch eine kleine Weile, so wird meine Ungnade ein Ende haben“ (10,24-25). „Israel, ich vergesse dich nicht!“ (44,21). „Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden“ (49,13).
Die Propheten sprachen von einer riesigen Rückführung: „Denn der Herr wird sich über Jakob erbarmen und Israel noch einmal erwählen und sie in ihr Land setzen“ (14,1). „Ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde“ (43,6). „Mein Volk wird in friedlichen Auen wohnen, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe“ (32,18). „Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen ... Zu der Zeit wird man sagen: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe“ (25,8-9). Und Gott sprach zu ihnen: „Du bist mein Volk“ (51,16). „Sie sind ja mein Volk, Söhne, die nicht falsch sind“ (63,8).
Es gibt gute Nachrichten, nicht nur für Israel, sondern für jeden Menschen: „Fremdlinge werden sich zu ihnen gesellen und dem Hause Jakob anhangen“ (14,1). „Der Fremde, der sich dem Herrn zugewandt hat, soll nicht sagen: Der Herr wird mich getrennt halten von seinem Volk“ (56,3). „Der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen“ (25,6). Sie werden sagen: „Das ist der Herr, ... lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil“ (25,9).
Jeremia kombiniert die Familienbilder: „Ich dachte: Wie will ich dich halten, als wärst du mein Sohn, und dir das liebe Land geben ..., ich dachte, du würdest mich dann »Lieber Vater« nennen und nicht von mir weichen. Aber das Haus Israel hat mir nicht die Treue gehalten, gleichwie eine Frau wegen ihres Liebhabers nicht die Treue hält, spricht der Herr“ (Jeremia 3,19-20). „Sie haben meinem Bund nicht gehalten, ob ich gleich ihr Herr [Ehemann] war“ (31,32). Am Anfang prophezeite Jeremia, dass die Beziehung beendet sei: „Sie gehören nicht dem Herrn! Sie verachten mich, spricht der Herr, das Haus Israel und das Haus Juda“ (5,10-11). „Ich habe Israel wegen ihres Ehebruchs gestraft und sie entlassen und ihr einen Scheidebrief gegeben“ (3,8). Das ist jedoch keine dauerhafte Zurückweisung. „Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein liebes Kind? Denn sooft ich ihm auch drohe, muss ich doch seiner gedenken; darum bricht mir mein Herz, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht der Herr“ (31,20). „Wie lang willst du in der Irre gehen, du abtrünnige Tochter?“ (31,22). Er verhiess, dass er sie wiederherstellen werde: „Ich will die Übriggebliebenen meiner Herde sammeln aus allen Ländern, wohin ich sie verstossen habe“ (23,3). „Es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich das Geschick meines Volks Israel und Juda wenden will, spricht der Herr“ (30,3). „Siehe, ich will sie aus dem Lande des Nor- dens bringen und will sie sammeln von den Enden der Erde“ (31,8). „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ (31,34). „Israel und Juda sollen nicht Witwen werden, verlassen von ihrem Gott, dem Herrn Zebaoth“ (51,5). Ganz wichtig ist, dass Gott sie verändern wird, so dass sie treu sein werden: „Kehrt zurück, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam“ (3,22). „Ich will ihnen ein Herz geben, dass sie mich erkennen sollen, dass ich der Herr bin“ (24,7).
„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“ (31,33). „Ich will ihnen einerlei Sinn und einerlei Wandel geben, ... und will ihnen Furcht vor mir ins Herz geben, dass sie nicht von mir weichen“ (32,39-40). Gott verheisst eine Erneuerung ihrer Beziehung, was dem Schliessen eines neuen Bundes mit ihnen gleichkommt: „Sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein“ (24,7; 30,22; 31,33; 32,38). „Ich will der Gott aller Geschlechter Israels sein und sie sollen mein Volk sein“ (31,1). „Ich will mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schliessen“ (31,31). „Ich will einen ewigen Bund mit ihnen schliessen, dass ich nicht ablassen will, ihnen Gutes zu tun“ (32,40).
Jeremia sah, dass die Heiden auch dazugehören würden: „Wider alle meine bösen Nachbarn, die das Erbteil antasten, das ich meinem Volk Israel ausgeteilt habe: Siehe, ich will sie aus ihrem Lande ausreissen und das Haus Juda aus ihrer Mitte reissen. …Und es soll geschehen, wenn sie von meinem Volk lernen werden, bei meinem Namen zu schwören: So wahr der Herr lebt! ... so sollen sie inmitten meines Volks wohnen“ (12,14-16).
Der Prophet Hesekiel beschreibt auch Gottes Beziehung zu Israel wie eine Ehe: „Und ich ging an dir vorüber und sah dich an, und siehe, es war die Zeit, um dich zu werben. Da breitete ich meinen Mantel über dich und bedeckte deine Blösse. Und ich schwor dir’s und schloss mit dir einen Bund, spricht Gott der Herr, dass du solltest mein sein“ (Hesekiel 16,8). In einer anderen Analogie beschreibt sich Gott als Hirte: „Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren“ (34,12-13). Entsprechend dieser Analogie modifiziert er die Worte über die Beziehung: „Ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein“ (34,31). Er sagt voraus, dass das Volk aus dem Exil zurückkehren und Gott ihre Herzen ändern wird: „Ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben, damit sie in meinen Geboten wandeln und meine Ordnungen halten und danach tun. Und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein“ (11,19-20). Die Beziehung wird auch als ein Bund beschrieben: „Ich will aber gedenken an meinen Bund, den ich mit dir geschlossen habe zur Zeit deiner Jugend, und will mit dir einen ewigen Bund aufrichten“ (16,60). Er wird auch unter ihnen wohnen: „Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein“ (37,27). „Hier will ich für immer wohnen unter den Israeliten. Und das Haus Israel soll nicht mehr meinen heiligen Namen entweihen“ (43,7).
Auch der Prophet Hosea beschreibt einen Bruch der Beziehung: „Ihr seid nicht mein Volk, so will ich auch nicht der Eure sein“ (Hosea 1,9). Statt die üblichen Worte zur Eheschliessung verwendet er die Worte einer Scheidung: „Sie ist ja nicht meine Frau und ich bin nicht ihr Mann!“ (2,4). Doch wie schon bei Jesaja und Jeremia geschehen, ist dies eine Überspitzung. Hosea fügt rasch hinzu, dass die Beziehung nicht beendet ist: „Alsdann, spricht der Herr, wirst du mich nennen »Mein Mann« ... Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit“ (2,18 u. 21). „Ich will mich erbarmen über Lo-Ruhama [die Ungeliebte], und ich will sagen zu Lo-Ammi [Nicht mein Volk]: »Du bist mein Volk«, und sie werden sagen: »Du bist mein Gott.«“ (2,25). „So will ich ihre Abtrünnigkeit wieder heilen; gerne will ich sie lieben; denn mein Zorn soll sich von ihnen wenden“ (14,5).
Der Prophet Joel findet ähnliche Worte: „Dann wird der Herr um sein Land eifern und sein Volk verschonen“ (Joel 2,18). „Mein Volk soll nicht mehr zuschanden werden“ (2,26). Auch der Prophet Amos schreibt: „Ich will die Gefangenschaft meines Volks Israel wenden“ (Am 9,14).
„Er wird sich unser wieder erbarmen“, schreibt der Prophet Micha. „Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast“ (Mi 7,19-20). Der Prophet Sacharja bietet eine gute Zusammenfassung: „Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der Herr“ (Sacharja 2,14). “Siehe, ich will mein Volk erlösen aus dem Lande gegen Aufgang und aus dem Lande gegen Niedergang der Sonne und will sie heimbringen, dass sie in Jerusalem wohnen. Und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein in Treue und Gerechtigkeit“ (8,7-8).
Im letzten Buch des Alten Testaments schreibt der Prophet Maleachi: „Sie sollen, spricht der Herr Zebaoth, an dem Tage, den ich machen will, mein Eigentum sein, und ich will mich ihrer erbarmen, wie ein Mann sich seines Sohnes erbarmt, der ihm dient“ (Mal 3,17).
von Michael Morrison