Predigen wir „billige Gnade“?

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Vielleicht haben auch Sie schon einmal gehört, dass über Gnade gesagt wurde, „die gäbe es nicht unbeschränkt“ oder „sie stelle Anforderungen“. Wer Gottes Liebe und Vergebung betont, wird gelegentlich Leuten begegnen, die den Vorwurf erheben, man wolle „billige Gnade“, wie sie es abschätzig nennen, befürworten. Genau dies ist bei meinem guten Freund und GCI-Pastor, Tim Brassel, passiert. Er wurde beschuldigt, er würde „billige Gnade“ predigen. Mir gefällt, wie er darauf reagierte. Seine Antwort war: „Nein, ich predige nicht billige Gnade, sondern weit besser: freie Gnade!“

Der Ausdruck billige Gnade stammt von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ihn in seinem Buch „Nachfolge“ verwendet und damit populär gemacht hat. Er benutzte ihn, um zu betonen, dass eine Person Gottes unverdiente Gnade erfährt, wenn sie sich bekehrt und ein neues Leben in Christus führt. Doch ohne ein Leben in der Nachfolge dringt Gottes Fülle nicht zu ihm durch – die Person macht dann nur die Erfahrung der „billigen Gnade“.

Die Lordship-Salvation-Kontroverse

Ist zur Errettung allein die Annahme Jesu erforderlich oder ebenso die Nachfolge? Leider hat man Bonhoeffers Lehre über die Gnade (einschliesslich der Verwendung des Begriffes billige Gnade), sowie seine Ausführungen über die Errettung und Nachfolge oft missverstanden und falsch verwendet. Das bezieht sich vor allem auf die jahrzehntelang geführte Debatte, die als Lordship-Salvation-Kontroverse bekannt wurde.

Eine führende Stimme in dieser Debatte, ein bekannter Fünf-Punkte-Calvinist, behauptet immer wieder, dass diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, dass allein das persönliche Bekenntnis des Glaubens in Christus heilsnotwendig sei, sich der Befürwortung „billiger Gnade“ schuldig machen würden. Nach seiner Argumentation ist es heilsnotwendig, ein Glaubensbekenntnis (der Annahme Jesu als Erlöser) abzulegen und in einem gewissen Umfang gute Werke (im Gehorsam gegenüber Jesus als Herrn) zu tun.

In dieser Debatte führen beide Seiten gute Argumente ins Feld. Meines Erachtens gibt es Fehler in der Sichtweise beider Parteien, die hätten vermieden werden können. Es kommt zu allererst auf das Verhältnis Jesu zum Vater an und nicht, wie wir Menschen uns gegenüber Gott verhalten. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist klar, dass Jesus beides ist – Herr und Erlöser. Beide Seiten würden es viel mehr als ein Geschenk der Gnade verstehen, dass wir vom Heiligen Geist angeleitet werden, um uns enger in Jesu eigenes Verhältnis gegenüber dem Vater einzubeziehen.

Mit dieser auf Christus und die Dreieinigkeit fokussierten Sichtweise würden beide Seiten gute Werke nicht als etwas betrachten, womit man sich die Erlösung verdient (oder als etwas Überflüssiges), sondern dass wir dazu geschaffen wurden, dass wir in Christus darin wandeln sollen (Epheser 2,10). Sie würden ebenfalls erkennen, dass wir ohne jeden Verdienst erlöst werden und  nicht aufgrund unserer Werke (einschliesslich unseres persönlichen Glaubensbekenntnisses), sondern durch das Werk und den Glauben Jesu stellvertretend für uns (Epheser 2,8-9; Galater 2,20). Dann könnten sie daraus folgern, dass es nichts gibt, was man zur Errettung tun kann, weder indem man etwas hinzufügt noch daran festhält. Der grosse Prediger Charles Spurgeon hat es so verdeutlicht: „Müssten wir auch nur einen Nadelstich ins Kleid unserer Erlösung stechen, dann würden wir es völlig ruinieren.“

Jesu Werk schenkt uns seine allumfassende Gnade

Wie wir bereits in dieser Serie über Gnade erörtert haben, sollten wir viel mehr auf Jesu Werk (seine Treue) vertrauen, als auf unser eigenes Tun. Es entwertet das Evangelium nicht, wenn wir lehren, dass die Erlösung nicht durch unsere Werke, sondern allein durch Gottes Gnade bewirkt wird. Karl Barth schrieb dazu: „Durch eigenes Tun kann niemand gerettet werden, aber durch Gottes Tun kann jeder gerettet werden.“

Die Schrift lehrt uns, dass jeder, der an Jesus glaubt „das ewige Leben hat“ (Johannes 3,16; 36; 5,24) und „gerettet wird” (Römer 10,9). Es gibt Verse, die uns ermahnen, Jesus nachzufolgen, indem wir unser neues Leben in ihm führen. Jedes Ansinnen, sich Gott nähern und seine Gnade erlangen zu wollen, das dabei Jesus als Erlöser und Jesus als Herrn voneinander trennt, ist fehlgeleitet. Jesus ist ganz und gar ungeteilte Realität, sowohl Erlöser als auch Herr. Als Erlöser ist er Herr und als Herr ist er Erlöser. Der Versuch, diese Realität in zwei Kategorien aufzuteilen, ist weder hilfreich noch zweckmässig. Tut man es doch, schafft man eine Christenheit, die sich in zwei Klassen spaltet und ihre jeweiligen Mitglieder dazu verleitet, ein Urteil darüber zu fällen, wer ein Christ sei und wer nicht. Ausserdem neigt man dazu, unser Wer-bin-ich von unserem Was-tue-ich abzusondern.

Jesu von seinem Erlösungswerk zu trennen, beruht auf einer geschäftlichen (auf gegenseitigen Leistungen beruhenden) Sichtweise der Errettung, die die Rechtfertigung von der Heiligung absondert. Bei der Errettung, die in jeder Hinsicht und vollständig auf Gnade beruht, geht es jedoch um eine Beziehung mit Gott, die zu einer neuen Lebensweise führt. Die errettende Gnade Gottes schenkt uns Rechtfertigung und Heiligung, indem Jesus selbst, durch den Heiligen Geist, für uns zur Rechtfertigung und zur Heiligung wurde (1. Korinther 1,30).

Der Errettende selbst ist das Geschenk. Durch den Heiligen Geist mit Jesus vereint, werden wir in allem teilhaftig, was sein ist. Das Neue Testament fasst dies zusammen, indem es uns als „neue Kreatur“ in Christus bezeichnet (2. Korinther 5,17). Es gibt nichts, was diese Gnade als billig hinstellen könnte, weil es einfach nichts Billiges gibt, weder in Bezug auf Jesus noch auf das Leben, das wir mit ihm teilen. Tatsache ist, dass die Beziehung zu ihm Reue bewirkt, das Hinter-sich-lassen des alten Ichs und den Eintritt in einen neuen Lebenswandel. Der Gott der Liebe ersehnt die Vollkommenheit der von ihm geliebten Menschen und hat das entsprechend in Jesus vorbereitet. Die Liebe ist vollkommen, sonst wäre sie keine Liebe. Calvin pflegte zu sagen: „Unsere ganze Errettung ist vollkommen in Christus.“

Das Missverständnis über Gnade und Werke

Obwohl der Fokus auf die richtige Art unseres Verhältnisses und Verständnisses, sowie auf das Tun guter Werke gerichtet ist, gibt es doch einige, die fälschlicherweise glauben, dass eine fortwährende Beteiligung durch gute Werke zur Sicherstellung unserer Errettung erforderlich sei. Bei ihnen besteht die Sorge, dass die Konzentration auf die Gnade Gottes allein durch Glauben eine Lizenz zum Sündigen darstellt (das Thema, das ich in Teil 2 behandelt habe). Das Unbedachte an dieser Vorstellung besteht darin, dass Gnade nicht einfach über die Folgen der Sünde hinwegsieht. Auch sondert diese falschgeleitete Denkweise die Gnade von Jesus selbst ab, als ob Gnade Gegenstand einer Transaktion (wechselseitigen Austausches) sei, die man in Einzelaktionen aufteilen kann, ohne Christus einzubeziehen. In Wirklichkeit ist der Fokus so stark auf gute Werke gerichtet, dass man schliesslich nicht mehr glaubt, dass Jesus alles Erforderliche getan hat, um uns zu retten. Fälschlicherweise wird behauptet, dass Jesus das Werk unserer Errettung lediglich begann und es nun an uns liegt, sie in gewisser Weise durch unser Verhalten sicherzustellen.

Christen, die Gottes freigiebig gewährte Gnade angenommen haben, glauben nicht, dass ihnen hierdurch die Erlaubnis zum Sündigen erteilt wurde – ganz im Gegenteil. Paulus wurde beschuldigt, zu viel über Gnade zu predigen, so dass „die Sünde überhand nehmen“ könnte. Dieser Vorwurf veranlasste ihn jedoch nicht, seine Botschaft zu ändern. Stattdessen warf er seinen Ankläger vor, seine Botschaft verzerrt darzustellen und bemühte sich umso mehr, klarzustellen, dass Gnade nicht geeignet sei, von den Regeln Ausnahmen zu machen. Paulus schrieb, dass es das Ziel seines Dienstes sei, „den Gehorsam des Glaubens“ aufzurichten (Römer 1,5; 16,26).

Rettung ist nur durch Gnade möglich: Es ist Christi Werk von Anfang bis Ende

Wir schulden Gott grosse Dankbarkeit, dass er seinen Sohn in der Kraft des Heiligen Geistes sandte, um uns zu retten, und nicht, um uns zu richten. Wir haben verstanden, dass kein Beitrag an guten Werken uns gerecht oder heilig machen kann; wäre es so, hätten wir keinen Erlöser nötig. Ob die Betonung nun auf Gehorsam aus Glauben oder auf Glauben mit Gehorsam liegt, so dürfen wir nie unsere Abhängigkeit von Jesus, der unser Erlöser ist, unterschätzen. Er hat alle Sünden gerichtet und verdammt und er hat uns für immer vergeben – ein Geschenk, das wir erhalten, wenn wir ihm glauben und vertrauen.

Es sind Jesu eigener Glaube und sein Werk – seine Treue –, die unsere Erlösung von Anfang bis Ende bewirken. Er überträgt seine Gerechtigkeit (unsere Rechtfertigung) auf uns und durch den Heiligen Geist schenkt er uns Anteil an seinem heiligen Leben (unsere Heiligung). Diese beiden Geschenke erhalten wir auf ein und dieselbe Weise: indem wir unser Vertrauen auf Jesus setzen. Was Christus für uns getan hat, hilft der Heilige Geist in uns zu verstehen und danach zu leben. Unser Glaube ist auf den ausgerichtet (wie es in Philipper 1,6 heisst,) „der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden“. Wenn jemand keinen Anteil hat an dem, was Jesus in ihm bewirkt, so ist das Bekenntnis seines Glaubens ohne Substanz. Statt Gottes Gnade anzunehmen, widersetzen sie sich ihr dadurch, dass sie einen Anspruch auf sie erheben. Sicherlich wollen wir diesen Fehler vermeiden, ebenso sollten wir auch nicht in die falsche Vorstellung verfallen, dass unsere Werke auf irgendeine Weise zu unserer Errettung beitragen.

von Joseph Tkach


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