Matthäus 5: Die Bergpredigt (Teil 1)
Selbst Nichtchristen haben von der Bergpredigt gehört. Christen hören viele Predigten darüber, jedoch gibt es Abschnitte, die schwer verständlich sind und die sie deshalb im Leben nicht richtig anwenden können.
John Stott hat es so ausgedrückt:
„Die Bergpredigt ist vermutlich der bekannteste Teil der Lehren Jesu, aber wohl auch der am wenigsten verstandene und sicherlich der am wenigsten befolgte“ (Die Botschaft der Bergpredigt, pulsmedien Worms 2010, Seite 11). Lassen Sie uns erneut die Bergpredigt studieren. Vielleicht finden wir neue Schätze und erinnern uns auch wieder an die alten.
Die Seligpreisungen
„Als er [Jesus] aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach“ (Matthäus 5,1-2). Wie so oft, ist ihm die Menschenmenge wahrscheinlich gefolgt. Die Predigt war nicht nur für die Jünger bestimmt. Deshalb wies Jesus die Jünger an, seine Lehren in der ganzen Welt zu verbreiten und Matthäus schrieb sie auf, damit über eine Milliarde Menschen sie nachlesen können. Seine Lehren sind für jeden bestimmt, der willens ist, sie anzuhören.
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich“ (V. 3). Was bedeutet es, „geistlich arm“ zu sein? Geringes Selbstbewusstsein haben, an geistlichen Dingen kaum interessiert sein? Nicht unbedingt. Viele Juden bezeichneten sich als „die Armen”, denn sie waren oft arm und sie verliessen sich auf Gott, dass er für ihre täglichen Bedürfnisse sorgt. Somit mag Jesus die Treuen gemeint haben. Doch „geistlich arm“ zu sein, deutet auf mehr hin. Arme Leute wissen, dass es ihnen am Nötigsten fehlt. Die geistlich Armen wissen, dass sie Gott brauchen; sie fühlen einen Mangel in ihrem Leben. Sie denken nicht von sich, Gott einen Gefallen zu tun, indem sie ihm dienen. Jesus sagt, das Himmelreich werde solchen Menschen – wie ihnen – zuteil. Es sind die Demütigen, die Abhängigen, denen das Himmelreich gegeben wird. Sie vertrauen allein auf Gottes Barmherzigkeit.
„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“ (V. 4). Diese Aussage enthält eine gewisse Ironie, denn das Wort „selig“ kann auch „glücklich“ bedeuten. Glücklich sind die Traurigen, sagt Jesus, denn zumindest tröstet es sie, zu wissen, dass ihre Nöte nicht von Dauer sind. Alles wird zurechtgebracht werden. Man beachte, dass es sich bei den Seligpreisungen nicht um Gebote handelt – Jesus sagt nicht, es sei geistlich von Vorteil, Leid zu tragen. In dieser Welt tragen bereits viele Menschen Leid und Jesus sagt, dass sie getröstet werden sollen – wahrscheinlich beim Kommen des Himmelreiches.
„Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“ (V. 5). In antiken Gesellschaften hat man oft den Sanftmütigen das Land weggenommen. Aber nach der Vorgehensweise Gottes wird auch das zurechtgebracht werden.
„Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden“ (V. 6). Diejenigen, die sich nach Recht und Gerechtigkeit sehnen (das griechische Wort bedeutet beides), werden erhalten, wonach es sie verlangt. Jene, die unter dem Bösen leiden und wollen, dass Dinge zurechtgebracht werden, sollen belohnt werden. In diesem Zeitalter leidet Gottes Volk unter dem Unrecht; wir sehnen uns nach Gerechtigkeit. Jesus versichert uns, dass unsere Hoffnungen nicht vergebens sein werden.
„Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (V. 7). Wir bedürfen der Barmherzigkeit am Tage des Jüngsten Gerichts. Jesus sagt, dass wir deshalb in dieser Zeit Barmherzigkeit üben sollen. Das steht im Widerspruch zum Verhalten derjenigen, die Recht fordern und andere betrügen oder die Barmherzigkeit fordern, aber selbst unbarmherzig sind. Wenn wir ein gutes Leben haben wollen, dann müssen wir uns auch dementsprechend verhalten.
„Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen“ (V. 9). Ein reines Herz hat nur ein Verlangen. Diejenigen, die allein nach Gott suchen, werden sicher sein, dass sie ihn finden. Unser Verlangen wird belohnt werden.
„Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heissen“ (V. 9). Die Armen werden ihr Recht nicht mit Gewalt durchsetzen. Gottes Kinder verlassen sich auf Gott. Wir sollten Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit zeigen, nicht Zorn und Zwietracht. Wir können nicht einträchtig im Reich der Gerechtigkeit leben, indem wir ungerecht handeln. Da wir uns den Frieden des Reiches Gottes wünschen, sollten wir auch in friedfertiger Weise miteinander umgehen.
„Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich“ (V. 10). Menschen, die sich richtig verhalten, müssen manchmal leiden, weil sie gut sind. Sanftmütige werden gern von den Leuten ausgenutzt. Es gibt solche, die sich sogar über die ärgern, die Gutes tun, weil deren gutes Beispiel die üblen Leute umso schlechter aussehen lässt. Manchmal gelingt es den Gerechten, Unterdrückten zu helfen, indem sie soziale Bräuche und Regeln schwächen, die den Ungerechten Macht verliehen haben. Wir trachten nicht danach, verfolgt zu werden, jedoch werden Gerechte oft von schlechten Menschen verfolgt. Seid guten Mutes, sagt Jesus. Haltet durch. Das Himmelreich gehört den Menschen, denen es so ergeht.
Dann wendet sich Jesus direkt an seine Jünger und spricht sie mit dem Wort „ihr“ in der zweiten Person Mehrzahl an: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind“ (V. 11-12).
Es gibt eine wichtige Stelle in diesem Vers: „um meinetwillen“. Jesus erwartet von seinen Jüngern, dass sie nicht nur wegen ihres guten Lebenswandels, sondern auch aufgrund ihrer Verbindung zu Jesus verfolgt werden. Deshalb seid fröhlich und getrost, wenn ihr verfolgt werdet – wenigstens sollte euer Tun genügen, um beachtet zu werden. Ihr macht in dieser Welt einen Unterschied aus und könnt sicher sein, es wird euch belohnt werden.
Einen Unterschied ausmachen
Jesus verwendete auch einige kurze metaphorische Formulierungen, um zu beschreiben, wie seine Nachfolger die Welt beeinflussen sollen: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten“ (V. 13).
Wenn Salz seine Würze verliert, würde es nutzlos sein, denn sein Geschmack verleiht ihm seinen Wert. Salz ist gerade deshalb so gut, weil es anders als andere Dinge schmeckt. Genauso sind die Jünger Jesu in der Welt zerstreut – doch wenn sie der Welt gleich sind, sind sie zu nichts nütze.
„Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind“ (V. 14-15). Die Jünger sollen sich nicht verbergen – sie sollen sichtbar sein. Ihr Beispiel ist Teil ihrer Botschaft.
„So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (V. 16). Später hat Jesus die Pharisäer kritisiert, weil sie um ihrer Werke willen gesehen werden wollten (Mt
6,1). Gute Werke sollen schon gesehen werden, aber zur Ehre Gottes, nicht zu unserer eigenen.
Eine bessere Gerechtigkeit
Wie sollen die Jünger leben? Jesus spricht darüber in den Versen 21 bis 48. Er beginnt mit einer Warnung: Wenn ihr hört, was ich sage, werdet ihr euch vielleicht darüber wundern, ob ich versuche, die Schrift aufzulösen. Das tue ich nicht. Ich tue und lehre exakt das, was die Schriften mir vorschreiben. Was ich sagen werde, wird euch überraschen, aber bitte, versteht mich nicht falsch.
„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (V. 17). Viele Menschen konzentrieren sich hier auf das Gesetz und vermuten, es gehe darum, ob Jesus die Gesetze des Alten Testamentes wegnehmen will. Das macht es sehr schwer, die Verse auszulegen, da jeder darin übereinstimmt, dass Jesus Christus als Teil seiner Mission einige Gesetze erfüllte, die dadurch überflüssig wurden. Man mag darüber streiten, wie viele Gesetze betroffen sind, aber jeder stimmt zu, dass Jesus gekommen ist, um zumindest einige davon aufzuheben.
Jesus spricht nicht über Gesetze (Plural!), sondern über das Gesetz (Singular!) – das heisst über die Thora, die ersten fünf Bücher der Heiligen Schrift. Er spricht auch über die Propheten, ein anderer Hauptabschnitt der Bibel. Bei diesem Vers geht es nicht um einzelne Gesetze, sondern um die Bücher des Alten Testaments als Ganzes. Jesus kam nicht, um die Heilige Schrift abzuschaffen, sondern sie zu erfüllen.
Natürlich spielte Gehorsam eine Rolle, aber es ging um mehr. Gott möchte, dass seine Kinder mehr tun, als Regeln zu folgen. Als Jesus die Thora erfüllte, war dies nicht nur eine Sache des Gehorsams. Er vollendete alles, worauf die Thora jemals hingedeutet hatte. Er tat das, wozu Israel als Nation nicht in der Lage war.
Dann sagte Jesus: „Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht“ (V. 18). Aber Christen müssen ihre Kinder nicht beschneiden lassen, bauen keine Laubhütten und tragen auch keine blauen Fäden in Quasten. Alle stimmen darin überein, dass wir diese Gesetze nicht halten müssen. So fragt sich, was Jesus meinte, als er sagte, dass keines der Gesetze aufgelöst würde? Ist es nicht so, in der Praxis sind diese Gesetze verschwunden?
Es gibt drei grundlegende Überlegungen hierzu. Erstens, wir können erkennen, dass diese Gesetze nicht verschwunden sind. Sie sind noch in der Thora aufgeführt, aber das bedeutet nicht, dass wir sie befolgen müssen. Das ist richtig, doch es scheint nicht das zu sein, was Jesus hier sagen wollte. Zweitens, könnte man sagen, dass Christen diese Gesetze halten, und zwar im Glauben an Christus. Wir halten das Gesetz der Beschneidung in unseren Herzen (Römer 2,29) und wir halten alle rituellen Gesetze durch Glauben. Auch das ist richtig, doch es dürfte nicht das sein, was Jesus hier genau sagte.
Drittens, es gilt festzuhalten, dass 1. keines der Gesetze veralten kann, bevor alles erfüllt ist und 2. alle darin übereinstimmen, dass mindestens einige der Gesetze nicht mehr gültig sind. Somit schlussfolgern wir 3., dass alles erfüllt wurde. Jesus erfüllte seine Mission und das Gesetz des Alten Bundes ist jetzt nicht mehr gültig. Allerdings, warum sollte Jesus sagen „bis Himmel und Erde vergehen“?
Sagte er es einfach, um die Gewissheit seiner Ausführungen zu betonen? Warum verwendete er zweimal das Wort „bis“, wenn nur eines davon relevant war? Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass es viele Gesetze im Alten Testament gibt, die Christen nicht halten müssen, und die Verse 17-20 sagen uns nicht, welche betroffen sind. Wenn wir Verse nur deshalb zitieren, weil uns bestimmte Gesetze zusagen, dann missbrauchen wir diese Verse. Sie lehren uns nicht, dass alle Gesetze für immer gültig sind, da dies nicht auf alle Gesetze zutrifft.
Diese Gebote – welche sind das?
Jesus fährt fort: „Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heissen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird gross heissen im Himmelreich“ (V. 19). Welche sind „diese” Gebote? Bezieht sich Jesus auf die Gebote im Gesetz des Moses oder auf seine eigenen Anweisungen, die er kurz darauf geben wird? Wir müssen die Tatsache beachten, dass Vers 19 mit dem Wort „deshalb“ beginnt (statt „nun“ in der).
Es gibt eine logische Verbindung zwischen den Versen 18 und 19. Soll das heissen, das Gesetz wird bleiben, es sollen diese Gebote gelehrt werden? Das würde beinhalten, dass Jesus über das Gesetz spricht. Aber es gibt Gebote in der Thora, die überholt sind und nicht mehr als Gesetz gelehrt werden sollen. Daher kann Jesus nicht davon gesprochen haben, dass wir alle Gesetze des Alten Testaments lehren sollen. Das würde auch im Gegensatz zum Rest des Neuen Testamentes stehen.
Sehr wahrscheinlich ist die logische Verbindung zwischen den Versen 18 und 19 eine andere und richtet sich mehr auf den Schlussteil „bis es alles geschieht“. Diese Überlegung würde Folgendes bedeuten: Das ganze Gesetz wird bleiben, bis es alles geschieht und „deshalb“ (da Jesus alles erfüllte), sollen wir diese Gesetze lehren (die Gesetze Jesu, die wir gleich lesen werden), anstelle der alten Gesetze, die er kritisiert. Dies ergibt mehr Sinn, wenn man es im Kontext der Predigt und des Neuen Testamentes betrachtet. Es sind Jesu Gebote, die gelehrt werden sollen (Matthäus 7,24; 28,20). Jesus erklärt das Warum: „Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (V. 20).
Die Pharisäer waren für ihren strikten Gehorsam bekannt; sie gaben sogar den Zehnten von ihren Kräutern und Gewürzen. Aber wahre Gerechtigkeit ist eine Angelegenheit des Herzens, des Charakters einer Person, nicht die Einhaltung bestimmter Vorschriften. Jesus sagt nicht, dass unser Gehorsam gegenüber diesen Gesetzen besser sein muss, sondern dass der Gehorsam besseren Gesetzen gelten muss, die er kurz darauf anschaulich erklären wird, da mit wir wissen, was er meint.
Aber wir sind nicht so gerecht, wie wir sein sollten. Wir alle brauchen Barmherzigkeit und wir kommen nicht ins Himmelreich aufgrund unserer Gerechtigkeit, sondern auf andere Weise, wie Jesus in den Versen 3-10 erklärte. Paulus nannte es das Geschenk der Gerechtigkeit, Rechtfertigung durch den Glauben, die perfekte Gerechtigkeit Jesu, an der wir teilhaben, wenn wir durch den Glauben mit ihm vereint werden. Aber Jesus gibt über das alles hier keine Erklärung.
Kurz zusammengefasst: Denken Sie nicht, dass Jesus kam, um die Schriften des Alten Testaments abzuschaffen. Er kam, um zu tun, was die Schriften vorausgesagt hatten. Jedes Gesetz blieb in Kraft bis Jesus alles erfüllte, wozu er gesandt wurde. Er gibt uns jetzt einen neuen Massstab für Gerechtigkeit, nach dem wir leben und den wir lehren sollen.
von Michael Morrison