Was ist das Thema, das Motto und der Kerngedanke des Buches „Sprüche“? Was ist das Herzstück unseres Weges mit Gott, das uns in diesem Buch offenbart wird?
Es ist die Furcht vor dem Herrn. Wenn man das gesamte Buch der Sprüche mit nur einem Vers zusammenfassen müsste, welcher würde es sein? „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis. Die Toren verachten Weisheit und Zucht“ (Sprüche 1,7). Sprüche 9,10 drückt etwas Ähnliches aus: „Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn, und den Heiligen erkennen,das ist Verstand.“
Die Furcht des Herrn ist die einfachste Wahrheit im Buch Sprüche.
Wenn wir die Furcht des Herrn nicht haben, dann werden wir auch keine Weisheit, Verstand und Erkenntnis haben.Was ist die Furcht des Herrn? Es klingt nach einem Gegensatz. Zum einen ist Gott die Liebe und zum anderen sind wir dazu aufgerufen, ihn zu fürchten. Heisst dies, dass Gott einschüchternd, angsteinflössend und unheimlich ist? Wie kann ich eine Beziehung mit jemand haben, vor dem ich Angst habe?
Die erste Zeile von Sprüche 1,7 ist ein wenig schwierig zu verstehen, weil uns hier das Konzept „Furcht“ nicht unbedingt in den Sinn kommt, wenn wir an Gott denken. Das übersetzteWort „Furcht“, das in vielen Bibelübersetzungen auftaucht, stammt vom hebräischen Wort „yirah“. Dieses Wort hat viele Bedeutungen. Manchmal meint es die Furcht, die wir spüren, wenn uns eine grosse Gefahr und / oder Schmerz bevorsteht, aber es kann auch„Verehrung“ und „Ehrfurcht“ bedeuten. Welche dieser Übersetzungen sollten wir nun für Vers 7 verwenden? Der Kontext ist hier wichtig. Die Bedeutung von „Furcht“ in unserem Fall ist hier im zweiten Teil desVerses ausgeführt: Toren verachtenWeisheit und Zucht. Das Schlüsselwort ist hier verachten, was auch bedeuten kann, man halte jemanden für unbedeutend oder verachte ihn. Es kann auch verwendet werden, um jemanden zu beschreiben der stur, stolz und streitsüchtig ist und von sich glaubt, immer im Recht zu liegen (Sprüche 14,3;12,15).
Raymond Ortl und schreibt in seinem Buch Sprüche: „Es ist ein Wort von Abneigung und eine auf Beziehungen bezogene Distanziertheit. Es ist die Arroganz, in der man glaubt, überdurchschnittlich zu sein und zu klug,zu gut und zu beschäftigt für Verehrung und Ehrfurcht.“
C. S. Lewis beschreibt diese Art von Einstellung in seinem Buch Pardon, ich bin Christ perfekt: „Wie begegnet man jemandem, der in jeder Beziehung über einem steht? Wenn Sie Gott so nicht wahrnehmen und kennen, und folglich sich selbst als Nichts im Gegensatz wahrnehmen und kennen, kennen Sie Gott nicht. So lange Sie stolz sind, können Sie Gott nicht kennen. Ein stolzer Mensch schaut immer aufMenschen und Dinge herab und solange Sie nach unten schauen, können Sie nicht sehen, was über ihnen ist.“
„Die Furcht des Herrn“ meint kein eingeschüchtertes Schaudern vor dem Herrn, so als ob Gott ein wütender Tyrann wäre.Das Wort Furcht bedeutet hier Verehrung und Ehrfurcht. Verehrung bedeutet grossen Respekt haben und jemandem Ehre bringen. DasWort „Ehrfurcht“ ist ein Konzept, mit dem man sich heute nur noch schwer identifizieren kann, doch es ist ein wunderbares biblisches Wort. Es beinhaltet die Ideen von Wunder, Erstaunen, Geheimnis, Verwunderung, Dankbarkeit, Bewunderung und sogar Ehrerbietung. Es bedeutet, sprachlos zu sein. So wie man reagiert, wenn man etwas begegnet oder erfährt, das man vorher noch nie so erfahren hat und nicht sofort in Worte fassen kann.
Es erinnert mich an das Gefühl, das ich empfand, als ich den Grand Canyon zum ersten Mal sah. Nichts konnte dieses Gefühl der Bewunderung, welches ich verspürte, als ich die grossartige Schönheit Gottes und seine Schöpfung vor mir sah, in Worte fassen. Grossartig ist eine Untertreibung. Adjektive wie prachtvoll, überschwänglich, überwältigend, faszinierend, fesselnd, atemberaubend können diese Gebirgszüge beschreiben. Ich war ohne Worte, als ich von oben auf den gewaltigen Fluss schaute, der sich mehr als einen Kilometer unter mir befand. Die Schönheit und die lebendigen Farben der Gesteine und die grosse Vielfalt von Flora und Fauna – all das zusammen, hat mich sprachlos gemacht. Kein Teil des Grand Canyon ist ein zweites Mal vorhanden. Seine Farben, die in einem Moment vielfältig und komplex waren, wechselten ihr Spektrum mit dem Verlauf der Sonne immer wieder. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen. Gleichzeitig machte es mir auch ein wenig Angst, weil ich mich so klein und unbedeutend fühlte.
Das ist die Art von Erstaunen, die das Wort Ehrfurcht beinhaltet. Aber dieses Staunen stammt nicht nur von der Schöpfung Gottes, sondern bezieht sich auf dieses Wesen, das vollkommen und auf jede Art und Weise einzigartig und überwältigend ist. Das immer perfekt gewesen ist, jetzt perfekt ist und immer perfekt sein wird. Alles über Gott sollte unsere Gedanken in Staunen und Bewunderung verwandeln und unseren vollen Respekt hervorrufen. Durch Gnade und Erbarmen und durch seine unendliche, bedingungslose Liebe für uns, wurden wir in den Armen und im Herzen Gottes willkommen geheissen. Es ist wunderbar, Jesus hat sich für uns erniedrigt und ist sogar für uns gestorben. Er hätte es auch dann getan, wenn Sie die einzige Person auf dieser Welt gewesen wären. Er ist Ihr Erlöser. Er liebt Sie nicht nur, weil Sie hier auf der Welt sind, sondern Sie sind hier auf der Welt, weil er Sie in diese Welt gebracht hat und liebt. Die gesamte Schöpfung Gottes ist wunderbar, aber Sie stehen im Mittelpunkt von Texten in denen es – wie in Psalm 8 – um die Dreieinigkeit Gottes geht. Wir als schwache, gebrechliche Menschen können darauf nur mit„Wow!“ antworten.
Augustinus war ein früher christlicher Theologe, der viel über die erstaunlichen Wunder Gottes schrieb. Eines seiner wichtigsten Werke heisst „De civitate Dei“ (zu dt. Vom Gottesstaat). Auf seinem Sterbebett, als sich die engsten Freunde um ihn versammelten, erfüllte ein wundersames Gefühl von Frieden den Raum. Plötzlich öffneten sich seine Augen zu jenen Menschen, die im Raum waren und er erklärte mit leuchtendem Gesicht, dass er den Herrn gesehen habe und alles, was er aufgeschrieben habe, dem nicht gerecht werden könne. Danach entschlief er friedlich.Sprüche 1,7 und 9,10 sprechen davon, die Furcht des Herrn ist der Anfang von Wissen und Weisheit. Das bedeutet, Wissen und Weisheit können nur auf der Furcht des Herrn basieren und nicht ohne sie existieren. Sie ist die notwendige Voraussetzung, damit wir unser tägliches Leben angehen können. Die Furcht des Herrn ist der Anfang: „Die Furcht des Herrn ist eine Quelle des Lebens, dass man meide die Stricke des Todes“ (Spr14,27). Wenn Sie Gott für das, was er ist, bestaunen und respektieren, werden Ihr Wissen und Ihre Weisheit weiter und tiefer wachsen. Ohne dieFurcht des Herrn, berauben wir uns selbst dieses Schatzes der Weisheit und des Wissens Gottes.Die Bibel Hoffnung für Alle übersetzt Vers 7 so: „Alle Erkenntnis beginnt damit, dass man Ehrfurcht vor dem Herrn hat.“
Im Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Graham sind die Hauptcharaktere – Ratte und Maulwurf – auf der Suche nach einem Otternbaby und stolpern in die Gegenwart Gottes.
Auf einmal fühlte der Maulwurf eine grosse Ehrfurcht, die seine Muskeln in Wasser verwandelte, seinen Kopf beugte und seine Füsse in der Erde verwurzeln liess. Er war jedoch nicht panisch, sondern es fühlte sich friedlich und glücklich an. „Ratte“, er hatte wieder Luft zum Flüstern und fragte zitternd, „Hast du Angst?“„Angst?“ murmelte Ratte mit Augen, die von unbeschreiblicher Liebe gefüllt waren. „Angst! Vor ihm? Nie, niemals! Und trotzdem ... oh Maulwurf, habe ich Angst!“ Dann beugten die beiden Tiere ihre Häupter gen Boden und beteten.
Wenn auch Sie Gott mit dieser Demut erfahren und ehrfürchtig sein möchten, dann ist die gute Nachricht, Sie können es. Aber versuchen Sie nicht, dies selbst zu erreichen. Bitten Sie Gott diese Furcht in Sie hineinzulegen (Phil2,12-13). Beten Sie dafür jeden Tag. Meditieren Sie über die Wunder Gottes. Gott und seine Schöpfung sind wundersam. Die Furcht des Herrn ist unsere Reaktion darauf, wenn wir erkennen, wer Gott wirklich ist und wir den riesengrossen Unterschied zwischen uns und Gott feststellen. Er wird Sie sprachlos machen.
von Gordon Green