Was Dr. Faustus nicht wusste
Wenn man sich mit deutscher Literatur beschäftigt, kommt man nicht an der Legende von Faust vorbei. Viele Leser der Nachfolge haben in ihrer Schulzeit von diesem bedeutenden Thema durch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) gehört. Goethe kannte die Legende von Faust durch Puppenspiele, die in der europäischen Kultur seit dem Mittelalter als moralische Geschichten verankert waren. Im 20. Jahrhundert liess der mit dem Nobelpreis gekrönte Thomas Mann die Geschichte des Mannes, der seine Seele an den Teufel verkaufte, wieder neu aufleben. Die Legende des Faust und der einhergehende Teufelspakt (im Englischen heisst dieser sogar Faustian bargain) verfolgte die Vorstellung des20. Jahrhunderts, z.B. bei der Kapitulation gegenüber des Nationalsozialismus 1933.
Die Geschichte von Faust gibt es auch in der englischen Literatur. Der Lyriker und Dramatiker Christopher Marlowe, ein enger Freund von William Shakespeare, schrieb 1588 einen Text, in dem ein Dr. Johannes Faust aus Wittenberg, der des langweiligen Studierens überdrüssig geworden ist, einen Pakt mit Lucifer schliesst: Faust gibt dem Teufel bei seinem Tod seine Seele, wenn dieser ihm im Gegenzug alle vier Jahre einen Wunsch erfülle. Die Hauptthemen in Goethes romantischer Version sind der Sieg der Zeit über den menschlichen Faust, das Ausweichen beim Finden aller Wahrheiten und das Erfahren von dauerhafter Schönheit. Goethes Werk hat auch heute noch einen festen Platz in der deutschen Literatur.
Will Durant beschreibt es folgendermassen:
„Faust ist natürlich Goethe selbst – sogar insoweit, dass beide sechzig waren. Wie Goethe, war er mit sechzig begeistert von Schönheit und Gnade. Seine Doppelambition nach Weisheit und Schönheit waren in der Seele Goethes verankert. Diese Annahme hat die rächenden Götter herausgefordert und doch war sie nobel. Faust und Goethe sagten beide “Ja” zum Leben, geistlich und körperlich, philosophisch und heiter.“ (Kulturgeschichte der Menschheit. Rousseau und die französische Revolution)
Eine fatale Oberflächlichkeit
Die meisten Kommentatoren nehmen von Fausts arroganter Annahme, gottgleiche Mächte zu besitzen, Notiz. Marlowes Die tragische Historie von Doktor Faustus beginnt damit, dass der Hauptcharakter das Wissen, das er durch die vier Wissenschaften (Philosophie, Medizin, Recht und Theologie) erhalten hat, verachtet. Wittenberg war natürlich der Ort des Geschehens um Martin Luther und mitschwingende Untertöne sind nicht zu überhören. Theologie war einmal als „Wissenschaft der Königin“ angesehen. Doch was für eine Torheit, dass man glaubt, alles Wissen, das gelehrt werden könnte, aufgesogen zu haben. Fausts fehlende Tiefe von Intellekt und Geist schreckt viele Leser bereits schon früh von dieser Geschichte ab.
Der Brief von Paulus an die Römer, den Luther als seine Erklärung für religiöse Freiheit ansah, sticht hier hervor: „Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Röm 1,22). Später schreibt Paulus davon, welche Tiefen und Reichtümer es zu erfahren gilt, wenn man Gott sucht: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«?“ (Röm 11,33-34).
Tragischer Held
Da ist eine Tiefe und fatale Blindheit in Faust, die sein zweifaches Aus bedeuten. Er will Macht, mehr noch als alle Reichtümer dieser Welt. Marlowe schreibt es folgendermassen:„Gen Indien sollen sie nach Golde fliegen, Des Orients Perlen aus dem Meere wühlen,Die Winkel all der neuen Welt durchspähen,Nach edlen Früchten, leckernFürstenbissen;Sie sollen mir die neue Weisheit lesen, Der fremden Könige Kabinett enthüllen: “Marlowes Faustus wurde für die Bühne geschrieben und zeigt deshalb den tragischen Held, der entdecken, erkunden, wachsen und die Geheimnisse der bekannten und unbekannten Welt herausfinden möchte, sehr eindrücklich. Wenn er beginnt, das Wesen des Himmels und der Hölle erkunden zu wollen, bricht Mephisto, der Bote Lucifers, das Unterfangen mit Zittern ab.Goethes poetische Version ist vom Romantizismus in Europa geprägt und zeigt deshalb einen eleganteren Faust, der die Gegenwart Gottes in seinen eigenen Gefühlen zu finden versucht.Er lobt die Gottheit als All-Umfassendes und All-Erhaltendes Geschöpf an, denn für Goethe ist Gefühl alles.Viele Kritiker loben Goethes Faust-Fassung von 1808 als das beste Dramaund die beste Lyrik, die Deutschland je hervor gebracht hat. Auch wenn Faust am Ende von Mephisto in die Hölle geschleift wird, ist dieser Erzählung viel Schönes abzugewinnen. Bei Marlowe hält der dramatische Effekt länger an und er endet mit einer Moral. Während des Stückes hatte Faustus das Bedürfnis, zu Gott zurückzukehren und seine Fehler vor ihm und sich selbst einzugestehen. Im zweiten Akt fragt Faustus,ob es zu spät dafür sei und der böse Engel bestätigt ihm diese Befürchtung. Der gute Engel ermutigt ihn jedoch und sagt ihm, dass es niemals zu spät sei, zu Gott zurückzukehren. Darauf antwortet der böse Engel, dass ihn der Teufel in Stücke reissen würde, wenn er zu Gott zurückkehre. Doch der gute Engel lässt nicht so schnell locker und versichert ihm, dass ihm kein Haar gekrümmt werden würde, wenn er zu Gott umkehre. Daraufhin ruft Faustus aus tiefster Seele Christus, als seinenErlöser an und bittet ihn, seine zermarterte Seele zu erretten.
Dann erscheint Lucifer mit einer Warnung und einem gerissenen Ablenkungsmanöver, um den gelernten Doktor zu verwirren. Lucifer stellt ihm die sieben Todsünden vor: Hochmut, Habgier,Neid, Wut, Völlerei, Faulheit und Lust. Marlowe’s Faustus ist von diesen fleischlichen Genüssen so sehr abgelenkt, dass er den Weg der Umkehr zu Gott verlässt. Hier ist die wahre Moral der Faustus-Geschichte Marlowes: Faustus Sünde ist nicht nur seine Vermessenheit, sondern vor allem seine spirituelle Oberflächlichkeit. Für Dr. Kristin Leuschner von der Rand Corporation ist diese Oberflächlichkeit der Grund seines Untergangs, denn „Faustus kann keinen Gott erfahren, der gross genug ist, um ihm für seine Fehltaten zu vergeben“.
An unterschiedlichen Stellen in Marlowes Stück drängen die Freunde von Faustus ihn zur Umkehr, denn es ist nicht zu spät dafür. Aber Faustus ist durch seinen nicht vorhandenen Glauben geblendet – der Gott der Christenheit ist tatsächlich grösser, als er sich vorstellen kann. Er ist sogar gross genug, um ihm zu vergeben.Der Akademiker Dr. Faustus, der Theologie gemieden hat, hat somit eines der wichtigsten Prinzipien der Bibel nicht kennen gelernt: „sie [die Menschen] sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Röm 3,23f). Im Neuen Testament wird davon berichtet, dassJesus einer Frau sieben Dämonen austreiben musste und sie wurde daraufhin eine seiner treusten Jünger (Lukas 8,32). Ganz egal welche Bibelübersetzung wir lesen, der Glaubensmangel an Gottes Gnade ist etwas, was wir alle erfahren.Wir neigen dazu, unser eigenes Gottesbild zu erschaffen. Doch das ist zu kurz gedacht. Faustus würde sich selbst nicht vergeben, wie kann es also ein allmächtiger Gott tun? Das ist Logik – aber es ist Logik ohne Gnade.
Amnestie für Sünder
Vielleicht geht es jedem von uns einmal so. Dann müssen wir uns ein Herz nehmen, denn die Botschaft der Bibel ist eindeutig. Jede Art von Sünde kann vergeben werden – ausser die gegen den Heiligen Geist – und diese Wahrheit steckt in der Botschaft des Kreuzes. Die Botschaft der guten Nachricht ist, dass das Opfer, das Christus für uns erbracht hat, viel mehr wert war als die Summe aller unserer Leben und aller unserer Sünden, die wir jemals begangen haben. Manche Menschen nehmen Gottes Angebot von Vergebung nicht an und verherrlichen dadurch ihre Sünden: „Meine Schuld ist so gross, zu gross. Gott kann mir niemals vergeben.“
Doch diese Annahme ist falsch. Die Botschaft der Bibel bedeutet Gnade – Gnade bis zum Ende. Die Gute Nachricht des Evangeliums ist, dass die himmlische Amnestie sogar für die schlimmsten Sünder gilt. Paulus selbst schreibt als ein solcher: „Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben” (1. Tim1,15-16).
Weiter schreibt Paulus: „Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden“ (Röm 5,20). Die Botschaft ist eindeutig: Der Weg der Gnade ist immer frei, auch für den schlimmsten Sünder. Wenn Dr. Faustus doch nur das wirklich verstanden hätte.
von Neil Earle