Psalm 8: Herr der Hoffnungslosen
Offensichtlich von Feinden verfolgt und vom Gefühl der Hoffnungslosigkeit erfüllt, fand David neuen Mut, indem er sich in Erinnerung rief, wer Gott ist: „Der erhabene, allmächtige Herr der Schöpfung, der sich der Machtlosen und Unterdrückten annimmt, um durch sie uneingeschränkt zu wirken“.
„Ein Psalm Davids, vorzusingen, auf der Gittit. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgst den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füsse getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ (Psalm 8,1-10). Betrachten wir diesen Psalm nun Zeile für Zeile. Die Herrlichkeit des Herrn: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel“! (Psalm 8,2)
Am Anfang und am Ende dieses Psalms (V. 2 und 10) stehen die Worte Davids, mit denen er zum Ausdruck bringt, wie herrlich Gottes Name ist – seine Pracht und Herrlichkeit, die weit über seine ganze Schöpfung (zu der auch die Feinde des Psalmisten zählen!) hinausreicht. Die Wortwahl „Herr, unser Herrscher“ macht dies deutlich. Die Ersterwähnung „Herr“ meint JHWH bzw. Jahwe, den Eigennamen Gottes. „Unser Herrscher“ meint Adonai, d.h. der Souverän oder Gebieter. Zusammengenommen ergibt sich daraus das Bild eines persönlichen, fürsorglichen Gottes, dem die absolute Herrschaft über seine Schöpfung obliegt. Ja, er thront erhaben (in Hoheit) im Himmel. Es ist dies der Gott, den David anspricht und auf den er sich beruft, wenn er wie im weiteren Psalm seine Satzungen vorbringt und seiner Hoffnung Ausdruck verleiht.
Die Stärke des Herrn: „Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugeichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgst den Feind und den Rachgierigen“ (Psalm 8,3).
David wundert sich, dass Gott, der Herr, sich die „kümmerliche“ Stärke von Kindern zunutze macht (Stärke gibt das im Neuen Testament mit Macht übersetzte hebr. Wort besser wieder), um den Feind und den Rachgierigen zu vertilgen bzw. ihnen ein Ende zu bereiten. Es geht darum, dass der Herr seine unvergleichliche Stärke auf eine sichere Grundlage stellt, indem er sich dieser hilflosen Kinder und Säuglinge bedient. Sollen wir jedoch diese Ausführungen wörtlich verstehen? Werden Gottes Feinde tatsächlich von Kindern zum Schweigen gebracht? Vielleicht, wahrscheinlicher aber ist, dass David mit Kindern im figürlichen Sinne kleine, schwache und machtlose Wesen anführt. Er ist sich angesichts einer überwältigenden (Über)Macht zweifellos seiner eigenen Machtlosigkeit bewusst geworden, und so ist es ihm ein Trost, zu wissen, dass der Herr, der mächtige Schöpfer und Herrscher, sich für sein Wirken der Machtlosen und Unterdrückten bedient.
Die Schöpfung des Herrn: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Psalm 8,4-9).
Davids Gedanken wenden sich nun der überwältigenden Wahrheit zu, dass der Herr, der allmächtige Gott, in seiner Gnade einen Teil seines Herrschaftsbereichs den Menschen überlassen hat. Zunächst geht er auf das grosse Schöpferwerk (einschliesslich Himmel ... Mond und ... Sterne) als das Werk von Gottes Finger ein und bringt dann sein Erstaunen zum Ausdruck, dass der endliche Mensch (das hebr. Wort ist enos und bedeutet sterblicher, schwacher Mensch) derart viel Verantwortung übertragen bekommt. Die rhetorischen Fragen in Vers 5 heben hervor, dass der Mensch eine unbedeutende Kreatur im Universum ist (Psalm 144,4). Und dennoch nimmt sich Gott seiner sehr an. Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Gottes Erschaffung des Menschen wird als mächtiges, würdiges Werk dargestellt; denn der Mensch wurde wenig niedriger gemacht als Gott. Das hebräische Elohim wird in der Elberfelder Bibel mit „Engel“ wiedergegeben, vielleicht sollte an dieser Stelle jedoch der Übersetzung mit „Gott“ der Vorzug gegeben werden. Es geht hier darum, dass der Mensch als Gottes ureigener Statthalter auf Erden erschaffen wurde; über die übrige Schöpfung gestellt, aber niedriger als Gott. David war erstaunt darüber, dass der Allmächtige dem endlichen Menschen einen solchen Ehrenplatz zuwies. In Hebräer 2,6-8 wird dieser Psalm zitiert, um dem Scheitern des Menschen dessen erhabenes Schicksal gegenüberzustellen. Aber es ist noch nicht alles verloren: Jesus Christus, der Menschensohn, ist der letzte Adam (1. Korinther 15,45; 47), und alles ist ihm unterstellt. Ein Zustand, der voll und ganz Wirklichkeit werden wird, wenn er leiblich zur Erde zurückkehren wird, um einem neuen Himmel und einer neuen Erde den Weg zu bereiten und damit den Plan Gottes, des Vaters, zu vollenden, die Menschen und die ganze übrige Schöpfung zu erhöhen (verherrlichen).
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füsse getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.
David geht an dieser Stelle auf die Stellung der Menschen als Gottes Statthalter (Verwalter) innerhalb seiner Schöpfung ein. Nachdem der Allmächtige Adam und Eva erschaffen hatte, gebot er ihnen, über die Erde zu herrschen (1. Mose 1,28). Alle Lebewesen sollten ihnen untertan sein. Aber aufgrund der Sünde wurde diese Herrschaft nie ganz verwirklicht. Tragischerweise wollte es die Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet eine ihnen untergeordnete Kreatur, die Schlange, es war, die sie veranlasste, gegen Gottes Gebot aufzubegehren und die ihnen von ihm zugedachte Bestimmung zurückzuweisen. Die Herrlichkeit des Herrn: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ (Psalm 8,10).
Der Psalm endet, wie er begonnen hat – im Lobpreis von Gottes herrlichem Namen. Ja, und tatsächlich offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn in seiner Fürsorge und Vorsehung, mit denen er den Menschen in seiner Endlichkeit und Schwäche bedenkt.
Schlussbetrachtung
Davids Erkenntnis, im Hinblick auf Gottes Liebe und Fürsorge den Menschen gegenüber, findet, wie wir wissen, im Neuen Testament in der Person und im Wirken Jesu ihre volle Verwirklichung. Dort erfahren wir, dass Jesus der Herr ist, der schon gegenwärtig die Herrschaft innehat (Epheser 1,22; Hebräer 2,5-9). Eine Herrschaft, die sich in der künftigen Welt zur vollen Blüte entfalten wird (1. Korinther 15,27). Wie überaus tröstlich und hoffnungsvoll stimmend ist es doch, zu wissen, dass wir trotz unserer Kümmerlichkeit und Machtlosigkeit (winzig im Vergleich zur unermesslichen Weite des Universums) von unserem Herrn und Gebieter angenommen sind, um seiner Herrlichkeit, seiner Herrschaft über die ganze Schöpfung, teilhaftig zu werden.
von Ted Johnston