Thomas, der Glaubende

863 thomas der glaubendeThomas ist eine faszinierende Gestalt unter den Zwölf Jüngern Jesu. Er wird der «ungläubige Thomas» genannt, weil er an der Auferstehung Jesu zweifelte und handfeste Beweise verlangte. Thomas war nicht ohne Grund ein Skeptiker oder ein Zweifler, er war ein Mensch, der seine Fragen ernst nahm und bereit war, sich von Gottes Wirklichkeit überraschen zu lassen. Jesus führte ihn behutsam und liebevoll zum Glauben.

Der Hintergrund

In den Evangelien taucht Thomas nicht besonders oft namentlich auf. Das Evangelium Johannes widmet ihm mehrere kurze, aber prägnante Episoden. Das erste Mal begegnet uns Thomas, als Jesus und seine Jünger erfahren, dass Lazarus, ein Freund Jesu, im Sterben liegt. Die Situation ist angespannt, denn Jesus spricht offen davon, nach Judäa zu Lazarus zu gehen. Die Jünger wissen, dass man dort bereits versucht hat, Jesus zu töten. Nüchtern betrachtet ist Thomas bereit, mit Jesus den Weg zu gehen, und sagt mit nachdenklicher Entschlossenheit zu den anderen Jüngern: «Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben!» (Johannes 11,16).

Scheint hier Thomas mehr Angst als Hoffnung zu haben? Das muss nicht so sein. Thomas ist bereit, mit Jesus in eine gefährliche Situation zu gehen. Ein weiteres Mal tritt Thomas in Erscheinung, als Jesus über sein Weggehen zum Vater spricht. Jesus verheisst seinen Jüngern, dass er ihnen eine Wohnung im Haus des Vaters vorbereiten werde. Dann spricht Jesus zuversichtlich: «Wo ich hingehe – den Weg dahin wisst ihr» (Johannes 14,4).

Thomas protestiert daraufhin: «Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?» (Johannes 14,5). Diese Frage zeugt nicht unbedingt von Unglauben, sondern vielmehr von einem Bedürfnis nach Klarheit und rationaler Erklärung. Thomas will verstehen, bevor er vertraut. Jesu berühmte Antwort auf die Frage des Thomas lautet: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich» (Johannes 14,6). Mit dieser Art von Fragen und Antworten offenbart Jesus uns eine der zentralen Aussagen des Christentums.

Gegen Abend nach Jesu Auferstehung hatten sich die Jünger versammelt. Sie hatten die Türen des Hauses fest verschlossen aus Angst vor den Juden. Plötzlich stand Jesus mitten unter ihnen und grüsste sie: «Friede sei mit euch!» Dann zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Die Jünger waren völlig ausser sich vor Freude darüber, Jesus mit eigenen Augen zu sehen. Einer der Zwölf, Thomas, den sie auch Zwilling nannten, war an dem Abend nicht dabei (Johannes 20,19-20). Er hörte hinterher von den Jüngern Jesu: Wir haben den Herrn gesehen! Thomas glaubt es nicht und fordert Beweise: «Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben» (Vers 25).

Das ist der Ausspruch, der Thomas den Beinamen «der Ungläubige» oder «der Zweifler» eingetragen hat. Erst acht Tage später erscheint Jesus wieder, diesmal ist Thomas dabei. Bevor Thomas überhaupt etwas sagen konnte, fordert ihn Jesus auf, die Wundmale zu berühren. Jesus redet ihn direkt an und sagt: «Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!» (Vers 27).

Die Reaktion des Thomas ist eines der prägnantesten Glaubensbekenntnisse im Neuen Testament: «Mein Herr und mein Gott!» (Vers 28). An diesem Punkt wird klar, dass Thomas nicht nur ein Skeptiker ist, sondern jemand, der – wenn er erst einmal erkennt, wer Jesus wirklich ist – unverzüglich bereit ist, seinen Glauben auszusprechen. Der zweifelnde Jünger wird zum bekennenden Apostel. Jesus aber fügt hinzu: «Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!» (Vers 29).

Jesus spricht damit alle Menschen an, die nicht wie Thomas direkt die Wundmale berühren und ihn leibhaftig sehen, aber dennoch an ihn glauben. Das gilt bereits für die ersten Christen, die nicht Augenzeugen waren und erst recht für uns heute und für alle künftigen Generationen. Die Geschichte des Thomas zeigt, dass der Glaube nicht aus menschlicher Kraft allein entsteht, sondern dass Jesus selbst es ist, der Glauben schafft und zum Ziel bringt. Als Thomas beim ersten Erscheinen Jesu fehlt, arrangiert Jesus einen zweiten Termin. Er kommt erneut in den verschlossenen Raum – genau wie vorher. Es gibt keinen Vorwurf, keine Belehrung, dass Thomas beim ersten Treffen nicht da gewesen ist. Jesus macht damit deutlicht, dass ein Mensch, der zum Glauben berufen ist, niemals vergessen oder im Stich gelassen wird. Paulus schreibt an alle Geschwister in Christus Jesus in Philippi: «Ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu» (Philipper 1,6).

Diese Verheissung gilt auch für Thomas und für jeden von uns. Gott hat den Überblick über unsere Zweifel, Sorgen und Fragen. Er kennt sie bereits, bevor wir sie aussprechen. Viele Menschen haben mehr Kontakt zu religiösen Riten als zu einer Beziehung mit Gott. Sie kennen Kirchen, Rituale und Traditionen, aber nicht unbedingt eine lebendige Beziehung mit Jesus, so wie Thomas sie erfuhr. Jesus begegnet Thomas persönlich in dessen Zweifel. Glaube ist in erster Linie Beziehung, keine Theorie. Jesus sagte in seiner Abschiedsrede seinen Jüngern: «Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch» (Johannes 14,19-20). Jesus lebt durch den Heiligen Geist in denen, die ihr Leben ihm übereignet haben. Er tritt nicht nur in verschlossene Räume damals, sondern auch heute in unser verschlossenes Herz.

Zeuge der Auferstehung

Johannes betont die Bedeutung des geschriebenen Zeugnisses: «Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen» (Johannes 20,31).

Thomas steht beispielhaft dafür, wie ein Mensch vom Zweifelnden zum Zeugen wird. Johannes überliefert diese Geschichte, damit spätere Generationen – also auch wir – daraus lernen und auf das Zeugnis der Apostel gründen können. Der tiefe Glaube, den Jesus als «selig» bezeichnet, ist ein tiefes Vertrauen, das sich auf das schriftlich bezeugte Wort, auf die Lehre der Apostel und vor allem auf die persönliche Begegnung mit Jesus durch den Heiligen Geist gründet.

von Paul Hailey


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