Gottes Verheissung in dem Gewand
Der Oberkellner liess sich nicht umstimmen. Es war ihm gleichgültig, dass dies unsere Hochzeitsreise war. Es spielte keine Rolle, dass der Abend in dem noblen Restaurant ein Hochzeitsgeschenk war. Es kümmerte ihn nicht im Geringsten, dass meine Frau Denalyn und ich auf das Mittagessen verzichtet hatten, um genügend Appetit für das Abendessen zu haben. All das war unerheblich, verglichen mit dem folgenschweren Problem, das sich zusammenbraute. Ich trug kein Jackett.
Ich hatte nicht gewusst, dass ich eines brauchte. Ich dachte, ein Sporthemd sei genug. Ich war sauber und ordentlich gekleidet. Doch der Herr mit der schwarzen Krawatte und dem französischen Akzent liess sich nicht beeindrucken. Er wies allen ihren Platz an. Herr und Frau Galant wurden zu einem Tisch geleitet, Herr und Frau Arrogant erhielten einen Platz. Doch Herr und Frau Ohne-Jackett?
Wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte, hätte ich nicht gebettelt. Aber ich hatte keine Wahl. Es war schon spät. Die anderen Restaurants waren geschlossen oder ausgebucht und wir waren hungrig. Es muss doch eine Möglichkeit geben, flehte ich. Er schaute mich, dann Denalyn an und stiess einen tiefen Seufzer aus. Ich werde versuchen, eine Lösung zu finden.
Er verschwand in der Garderobe und kam mit einem Jackett zurück. Ziehen Sie das an. Ich tat es. Die Ärmel waren zu kurz, die Schultern zu eng und die Farbe war lindgrün. Aber ich konnte mich nicht beklagen. Ich hatte ein Jackett und wir wurden zu einem Tisch geführt. Trotz all der Unannehmlichkeiten bekamen wir schliesslich ein herrliches Essen und ein noch herrlicheres Gleichnis. Ich brauchte ein Jackett, aber alles, was ich hatte, war eine Bitte. Der Mann war zu liebenswürdig, um mich fortzuschicken, aber zu gesetzestreu, um die Anforderungen zu mindern. Deshalb gab mir der, der ein Jackett verlangte, ein Jackett, und wir bekamen einen Tisch.
Geschah das nicht auch am Kreuz? Schlecht gekleidete bekommen keinen Platz am Tisch Gottes. Aber wer unter uns kann den Anforderungen genügen? Liederliche Wertmassstäbe, nachlässig mit der Wahrheit, gleichgültig gegenüber Menschen. Unser sittliches Gewand ist ungepflegt. Ja, die Anforderungen für einen Platz an Gottes Tisch sind hoch, aber die Liebe Gottes zu seinen Kindern ist höher. Deshalb gibt er uns ein Geschenk. Kein lindgrünes Jackett, sondern ein nahtloses Gewand. Nicht ein Kleidungsstück, das aus einer Garderobe herausgezogen wurde, sondern ein Gewand, das von Jesus, seinem Sohn, getragen wurde.
Aus der Bibel erfahren wir nicht viel über die Kleidung, die Jesus getragen hat. Wir wissen, was sein Cousin, Johannes der Täufer, anhatte. Wir wissen, was die religiösen Führer trugen. Aber die Kleidung Jesu wird nicht beschrieben: Sie war wohl weder armselig, dass die Herzen gerührt wurden, noch so prächtig, dass die Leute sich nach ihm umdrehten. Ein Hinweis auf Jesu Kleidung ist beachtenswert: «Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll» (Johannes 19,23-24).
Es muss Jesu bestes Stück gewesen sein. Nach jüdischer Tradition hatte eine Mutter ein solches Gewand zu weben und ihrem Sohn als Abschiedsgeschenk zu geben, wenn er sein Elternhaus verliess. Hatte Maria das für Jesus getan? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass das Obergewand ohne Naht war, von oben bis unten gewebt. Warum ist das von Bedeutung?
Die Heilige Schrift vergleicht oft unser Verhalten mit der Kleidung, die wir tragen: «Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut» (1. Petrus 5,5). David sagt, dass gottlose Menschen «den Fluch wie ein Hemd» anziehen (Psalm 109,18). Kleider können als Sinnbild für den Charakter dienen, und wie dieses Gewand war der Charakter Jesu nahtlos, ausgeglichen, aus einem Guss. Er war wie sein Kleid: ununterbrochene Vollkommenheit. Von oben an gewebt. Jesus wurde nicht von seinen eigenen Gedanken geleitet, sondern von den Gedanken seines Vaters. Hören Sie auf seine Worte: «Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn» (Johannes 5,19). Jesus sagte: «Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich» (Johannes 5,30. Der Charakter Jesu war nahtlos vom Himmel zur Erde ... von Gottes Gedanken zu Jesu Taten gewoben, von Gottes Tränen zum Mitgefühl Jesu, von Gottes Wort zur Antwort Jesu, alles ein einziges Stück, alles ein Bild von Jesu Charakter. Doch als Christus ans Kreuz genagelt wurde, legte er sein Gewand nahtloser Vollkommenheit ab und zog eine andere Kleidung an, die Kleidung der Schmach. Die Schmach der Nacktheit. Entblösst vor seiner eigenen Mutter und den Menschen, die ihm nahe standen, entwürdigt vor seiner Familie. Die Schmach des Scheiterns. Ein paar qualvolle Stunden lang waren die religiösen Führer Sieger und Christus sah wie der Verlierer aus, entwürdigt vor seinen Anklägern. Das Schlimmste von allem war, dass er die Schmach der Sünde trug: «Der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben» (1. Petrus 2,24).
Die Kleidung Christi am Kreuz? Sünde - ihre und meine Sünde. Die Sünden der ganzen Menschheit. Ich erinnere mich, wie mein Vater mir einmal erklärte, warum eine Gruppe Männer am Strassenrand gestreifte Kleidung trug. Sie sind Gefangene, sagte er. Sie haben das Gesetz gebrochen und verbüssen ihre Strafe. Wissen Sie, was mich an diesen Männern am meisten verblüffte? Sie schauten nie hoch. Sie vermieden jeden Blickkontakt. Schämten sie sich? Wahrscheinlich. Was sie am Strassenrand empfanden, empfand unser Retter am Kreuz - Schande. Jede Einzelheit der Kreuzigung war so geplant, dass dem Opfer nicht nur Schmerzen zugefügt wurden, sondern dass es auch entwürdigt wurde. Der Tod am Kreuz war normalerweise den ehrlosesten Straftätern vorbehalten: Sklaven, Schwerverbrechern und Mördern.
Der Verurteilte wurde mit den Kreuzesbalken auf den Schultern durch die Strassen der Stadt geführt, und um seinen Hals hing ein Schild, auf dem sein Verbrechen stand. Am Hinrichtungsort wurde er entkleidet und verspottet. Die Kreuzigung war so verabscheuungswürdig, dass Cicero schrieb: «Allein schon der Name des Kreuzes sei fern, nicht nur vom Körper eines römischen Bürgers, sondern sogar von seinen Gedanken, seinen Augen und seinen Ohren».
Jesus wurde nicht vor den Menschen, sondern vor dem Himmel entwürdigt. Da er die Sünde des Mörders und Ehebrechers trug, empfand er die Schande eines Mörders und Ehebrechers. Obwohl er nie gelogen hatte, trug er die Schmach eines Lügners. Obwohl er nie betrogen hatte, empfand er die Blamage eines Betrügers. Da er die Sünde der Welt trug, fühlte er die gesamte Schande der Welt. Kein Wunder, dass im Hebräerbrief steht, dass er «seine Schmach» trägt (Hebräer 13,13).
Am Kreuz empfand Jesus die Schmach und die Schande eines Verbrechers. Nein, er war nicht schuldig, er hatte keine Sünde begangen. Nein, er hatte das Urteil nicht verdient. Doch Sie und ich, wir waren schuldig, hatten gesündigt und das Urteil verdient. Wir waren in derselben Lage wie ich dem Oberkellner gegenüber - alles, was wir anzubieten haben, ist eine Bitte. Jesus jedoch geht weiter als der Oberkellner. Können Sie sich vorstellen, dass der Hausherr des Restaurants seinen Smoking auszieht und ihn mir gibt? Jesus tut es. Wir sprechen nicht über ein schlecht sitzendes, übrig gebliebenes Jackett. Jesus schenkt ein Kleid von nahtloser Reinheit und zieht sich meinen aus Stolz, Habsucht und Selbstsucht zusammengeflickten Mantel über. Er hat mit uns den Platz getauscht (siehe Galater 3,13). Er trug unsere Sünde, damit wir seine Gerechtigkeit tragen können. Obwohl wir in Sünden bekleidet zum Kreuz kommen, verlassen wir das Kreuz mit dem «Panzer der Gerechtigkeit» (Jesaja 59,17) und gegürtet mit dem Gurt «der Treue» (Jesaja 11,5) und angezogen mit den «Kleidern des Heils» (Jesaja 61,10).
Tatsächlich verlassen wir das Kreuz bekleidet mit Christus selbst: «Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen» (Galater 3,26-27).
Es war Jesus nicht genug, für Sie ein Fest vorzubereiten. Es war ihm nicht genug, für Sie einen Platz zu reservieren. Es war ihm nicht genug, die Kosten zu übernehmen und für die Fahrt zum Festmahl zu sorgen. Er tat noch mehr. Er gab Ihnen seine eigene Kleidung, damit Sie passend angezogen sind. Jesus hat es für Sie getan – ganz bewusst und aus Liebe, nur für Sie persönlich.
von Max Lucado
Dieser Text wurde aus dem Buch «Hör nie auf, neu anzufangen» von Max Lucado entnommen, das von Gerth Medien ©2022 herausgegeben wurde. Max Lucado ist langjähriger Pastor der «Oak Hills Church» in San Antonio, Texas. Verwendung mit Genehmigung.
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