Über viele Jahre hinweg habe ich am Versöhnungstag gefastet, in der Annahme, dass der Verzicht auf Essen und Trinken an diesem Tag mich mit Gott versöhnen würde. Ich praktizierte ein religiöses System von Gnade und Werken und war der Überzeugung, dass Fasten an diesem Tag unerlässlich sei, um Gottes Gunst zu erlangen (3. Mose 23,29). Dabei betrachtete ich den Versöhnungstag nicht durch die Augen des neuen Bundes und verstand deshalb nicht vollständig, dass dieser «Tag der Sühne» auf die Person und das Werk Jesu Christi für unser Heil hinweist.
Der grosse Versöhnungstag, Jom Kippur, fand einmal im Jahr statt und wird heute noch von Juden gefeiert. An diesem Tag liegt die Betonung, dass Gott sich mit uns versöhnt, und nicht darauf, dass wir uns mit Gott versöhnen. Der Versöhnungstag stellt das Opfer von Jesus Christus zukunftsweisend dar und ist ein Schatten der späteren Wirklichkeit: «Sie verrichten ihren Dienst allerdings in einem Heiligtum, das nur einen Schatten, nur eine unvollkommene Nachbildung des wahren Heiligtums darstellt, das im Himmel ist» (Hebräer 8,5 Gute Nachricht Bibel).
Bevor der Hohepriester als Mittler für die Sünden des Volkes dienen konnte, war es erforderlich, dass er zuerst für seine eigenen Sünden und die seiner Familie sühnte, indem er einen Jungstier schlachtete und dessen Blut sowie Räucherwerk im Allerheiligsten darbrachte (3. Mose 16,11-14). Dieser Vorgang reinigte ihn und seine Familie und machte ihn fähig, anschliessend auch für das Volk zu sühnen. Nur ein vollkommener Priester durfte das Sündopfer für das ganze Volk vollbringen. Zwei Ziegenböcke wurden an den Eingang der Stiftshütte geführt. Durch ein Losverfahren wurde einer der Böcke für den Herrn bestimmt und als Sündopfer dargebracht, während der andere Bock, der für Asasel bestimmt war, lebend in die Wüste geschickt wurde, um dort die Sünden des Volkes symbolisch fortzutragen (Verse 8-10).
Der erste Ziegenbock wurde geopfert und sein Blut wurde im Allerheiligsten siebenmal auf den Sühnedeckel der Bundeslade gesprengt. Dieser Deckel schützte unten die Gesetzestafeln und diente oben als Gottes Thron (Vers 15). Im Römerbrief erläutert Paulus die Bedeutung dieses Aktes: «Ihn, Jesus hat Gott vor den Augen aller Welt zum Sühneopfer für unsere Schuld gemacht. Durch sein Blut, das er vergossen hat, ist die Sühne geschehen, und durch den Glauben kommt sie uns zugute. Damit hat Gott unter Beweis gestellt, dass er gerecht gehandelt hatte, als er die bis dahin begangenen Verfehlungen der Menschen ungestraft liess» (Römer 3,25 Neue Genfer Übersetzung).
Das siebenmalige Besprengen des Blutes symbolisierte Vollständigkeit und Vollkommenheit, ein zentrales Element des Erlösungswerks durch Jesus Christus. Kein Israelit konnte das sehen, weil es ist im Allerheiligsten «Für den Herrn» ausgeführt worden. Der erste Ziegenbock ist der erste Aspekt der Erlösung.
Der zweite Aspekt der Erlösung wird durch den anderen Ziegenbock, Asasel, symbolisiert. In einer rituellen Handlung legte der Hohepriester seine Hände auf diesen Bock und bekannte die Sünden des Volkes, wodurch diese auf den Bock übertragen wurden. Der Bock wurde dann in die Wüste geschickt und sollte nie zurückkehren. Asasel ist ein seltenes hebräisches Hauptwort, das «gänzliche Entfernung» bedeutet. Der Grundgedanke ist die vollständige Entfernung der Sünden. Der Bock wird dabei nicht zu einer anderen Person geschickt, sondern in eine unbesiedelte, leere Umgebung – ins Nichts. Diese Handlung zeigt deutlich, dass die Sünden dauerhaft entfernt und nicht mehr Teil der Gemeinschaft sind.
Am Versöhnungstag steht nicht das menschliche Handeln im Mittelpunkt, sondern Gottes Handeln, nach der ewigen Ordnung, die in 3. Mose 16,29-31 festgelegt ist, sollen die Menschen am zehnten Tag des siebten Monats fasten und jegliche Arbeit ruhen lassen. Dies gilt sowohl für Einheimische als auch für Fremde, die bei ihm wohnen. An diesem Tag erfolgt die Entsühnung, wodurch alle von ihren Sünden vor dem Herrn gereinigt werden. Es ist ein Tag, an dem alle menschlichen Anstrengungen ruhen, um uns daran zu erinnern, dass wir von unseren eigenen Werken ablassen und stattdessen Gottes Ruhe und Reinigung erfahren sollen.
«Als aber der Christus kam als ein Hoherpriester der zukünftigen Heils-Güter, ist er durch das grössere und vollkommenere Zelt, das nicht mit Händen gemacht, das heisst nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht mit dem Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erlangt» (Hebräer 9,11–12 Schlachter Bibel).
Dieser Text zeigt die Wirklichkeit und Erfüllung des Versöhnungstages des Alten Testaments. Jesus ist sowohl der vollkommene Hohepriester als auch der geschlachtete Bock, um bei Gott Versöhnung für alle Menschen zu bewirken, völlig unabhängig vom Tun des Menschen und von zu erfüllenden gesetzlichen Vorschriften. Im zweiten Korintherbrief wird dies ganz deutlich: «Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung» (2. Korinther 5,19).
Der Festtag Jom Kippur ist nur ein Schatten von dem, was kommen wird, weil er begrenzt ist auf ein Jahr und nur für das Volk Israel gilt. Ganz im Gegensatz dazu steht das Opfer Jesu: «Er selbst (Jesus) ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt» (1. Johannes 2,2).
Durch die vollkommene Erfüllung dieses Opfers hat Gott sich mit allen Menschen der ganzen Welt versöhnt. Diese Versöhnung schliesst alle Sünden der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ein und umfasst ausnahmslos alle Arten von Sünden.
Die Israeliten sahen, wie der mit ihren Sünden beladene Bock in die Wüste gejagt wurde und nicht mehr zurückkam. Das half ihnen zu verstehen, dass ihre Sünden wirklich weg waren: «So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein» (Psalm 103,12).
Johannes der Täufer, ein Prophet und Wegbereiter Jesu, erkennt in Jesus denjenigen, der die Sünden der Welt trägt: «Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!» (Johannes 1,29).
Im neuen Testament erfüllte Jesus die Aufgabe des Asasel: «Jesus, der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden» (1. Petrus 2,24).
Beide Böcke zeigen uns zwei Sichtweisen derselben Versöhnung: Gott hat sich durch Christus mit uns versöhnt und Gott hat durch Christus alle Sünden von uns entfernt.
In seinem zweiten Brief an die Korinther schreibt Paulus eine Zusammenfassung: «Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt» (2. Korinther 5,18–21).
Durch den Glauben an Jesus Christus feiern wir im Geist und in der Wahrheit das ganze Jahr den Versöhnungstag! Wir leben unter der Gnade Gottes durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz. Er ermöglicht uns das Privileg, in der Gegenwart Gottes zu sein: «Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht mit unseren Schwächen mitfühlen könnte, sondern einen, der in allem wie wir versucht wurde, jedoch ohne Sünde. Darum lasst uns mit Zuversicht zum Thron der Gnade treten, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, um rechtzeitig Hilfe zu erhalten» (Hebräer 4,15-16).
Unabhängig von Ihren Sünden, Schwächen, Fehlern oder Versagen dürfen Sie daran denken, dass Jesus wegen Ihrer menschlichen Schwächen in die Welt gekommen ist, um für uns zu leben, zu sterben, auferweckt zu werden und als unser Fürsprecher zu dienen. Benötigen Sie Hilfe? Dann treten Sie hin zum Thron der Gnade, nehmen Sie seine Hilfe an und erwidern Sie Gottes Liebe in Dankbarkeit!
von Pablo Nauer
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