Tugenden des Glaubens im Alltag
Petrus hatte in seinem Leben zahlreiche Fehler begangen. Sie führten ihm vor Augen, dass nach der Versöhnung mit Gott, dem Vater durch Gottes Gnade konkrete Schritte ergriffen werden sollten, während wir «als Fremde und Ausländer» in der unberechenbaren Welt leben. Der freimütige Apostel hinterliess uns in schriftlicher Form sieben wesentliche «Tugenden des Glaubens». Diese fordern uns zu einem praktischen christlichen Lebensstil auf – eine Aufgabe von grösster Bedeutung, die dauerhaft Bestand hat. Für Petrus ist der Glaube das wichtigste Prinzip und beschreibt dies wie folgt: «So wendet allen Fleiss daran und erweist in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis und in der Erkenntnis Mässigkeit und in der Mässigkeit Geduld und in der Geduld Frömmigkeit und in der Frömmigkeit Brüderlichkeit und in der Brüderlichkeit die Liebe» (2. Petrus 1,5-7).
Der Glaube
Das Wort «Glaube» leitet sich vom griechischen «Pistis» ab und bezeichnet im Kern das vollkommene Vertrauen in die Verheissungen Gottes. Dieses Vertrauen wird anschaulich am Beispiel des Patriarchen Abraham verdeutlicht: «Er zweifelte nicht an der Verheissung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs Allergewisseste: Was Gott verheisst, das kann er auch tun» (Römer 4,20-21).
Wenn wir nicht an das Erlösungswerk glauben, das Gott in Christus getan hat, haben wir keine Grundlage für das christliche Leben: «Paulus und Silas sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!» (Apostelgeschichte 16,31). Der alttestamentliche Patriarch Abraham, im Neuen Testament als «Vater der Gläubigen» bezeichnet, verliess das Gebiet des heutigen Iraks, um nach Kanaan, dem verheissenen Land, aufzubrechen. Dies tat er, obwohl er sein Ziel nicht kannte: «Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme» (Hebräer 11,8). Er verliess sich ausschliesslich auf Gottes Verheissungen, denen er mit ganzem Herzen vertraute und sein Handeln danach ausrichtete.
Wir befinden uns heute in einer ähnlichen Lage wie Abraham: Unsere Welt ist unsicher und zerbrechlich. Wir wissen nicht, ob die Zukunft Verbesserungen bringt oder ob sich die Situation verschlechtert. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, Vertrauen zu haben – den Glauben, dass Gott uns und unsere Familien sicher führen wird. Der Glaube ist der Beweis und die gottgegebene Gewissheit, der unserem Verstand und unserem Herzen zur Verfügung steht, dass Gott für uns sorgt und alles zu unserem Besten dient: «Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind» (Römer 8,28).
Der Glaube Jesu Christi sondert die Christen von allen anderen Menschen ab. Pistis, das Vertrauen in den Heiland und Erlöser, durch das man in die Familie Gottes aufgenommen wird, ist die Grundlage aller anderen christlichen Eigenschaften.
Tugend
Die erste Ergänzung zum Glauben ist Tugend. Der griechische Begriff «Arete» wird in der Neuen Genfer Übersetzung (NGÜ) als «Charakterfestigkeit» interpretiert und kann auch als beispielhaftes Verhalten verstanden werden. Deshalb fördert und stärkt der Glaube die Charakterfestigkeit. Das Wort Arete wurde von den Griechen in Bezug auf ihre Götter verwendet. Es bedeutet Vortrefflichkeit, Exzellenz und Mut, etwas, das das Gewöhnliche und Alltägliche übersteigt. Sokrates demonstrierte Tugend, als er den Schierlingsbecher trank, um seinen Prinzipien treu zu bleiben. Ebenso zeigte Jesus Charakterfestigkeit, als er entschlossen seine letzte Reise nach Jerusalem antrat, obwohl ihm dort ein grausames Schicksal bevorstand: «Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er in den Himmel aufgenommen werden sollte, da wandte er das Angesicht, entschlossen, nach Jerusalem zu wandern» (Lukas 9,51).
Vorbildliches Verhalten bedeutet, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Paulus bewies grossen Mut und Tugend, als er seine feste Absicht verkündete, Jerusalem zu besuchen, obwohl der Heilige Geist ihm deutlich gezeigt hatte, dass Gefahr drohte: «Was macht ihr, dass ihr weint und brecht mir das Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus» (Apostelgeschichte 21,13). Diese Art von Hingabe, die in Arete verwurzelt ist, stärkte und ermutigte die frühe Kirche. Zur Tugend gehören gute Werke und Taten des Dienens, die wir überall in der frühen Kirche finden. Jakobus betonte, dass «der Glaube ohne Werke nutzlos ist» (Jakobus 2,20).
Erkenntnis
In Verbindung mit dem Glauben trägt Charakterstärke zur Erkenntnis bei. Der Heilige Geist inspirierte Petrus, das griechische Wort «Gnosis» zu verwenden, anstelle des im Neuen Testament häufigen genutzten Begriffs «Sophia» für Weisheit. Erkenntnis im Sinne der Gnosis ist nicht das Resultat intellektueller Anstrengungen, sondern vielmehr eine geistliche Einsicht, die der Heilige Geist gewährt. Diese konzentriert sich auf die Person Jesu Christi und das Wort Gottes: «Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist» (Hebräer 11,3).
Schriftkenntnis, die auf Erfahrung beruht, entspricht dem Begriff »Know-how«, durch das wir praktische Fähigkeiten im Alltag des christlichen Glaubens entwickeln. Paulus erkannte, dass der Hohe Rat aus Sadduzäern und Pharisäern bestand und nutzte diese Erkenntnis, um die Gruppen gegeneinander auszuspielen und sich selbst zu schützen (Apostelgeschichte 23,1-9).
Wie oft wünschen wir uns, über diese Fähigkeit zu verfügen, besonders wenn wir einem Bankangestellten, einem Beamten, einem Vorgesetzten oder einem ungerechten Ankläger gegenüberstehen. Das Richtige im angemessenen Mass zu sagen, ist eine Kunst, bei der wir unseren himmlischen Vater um Unterstützung bitten dürfen: «Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern und ohne Vorwurf gibt; so wird sie ihm gegeben werden» (Jakobus 1,5).
Mässigkeit
Glaube, Tugend und Erkenntnis allein genügen nicht für ein christlich geprägtes Leben. Gott beruft jeden Christen zu einem disziplinierten Leben, zur Mässigkeit. Das griechische Wort «Egkrateia» steht für Selbstbeherrschung oder Selbstkontrolle. Diese Kontrolle der Willenskraft, geführt durch den Heiligen Geist, stellt sicher, dass die Vernunft stets der Leidenschaft oder Gefühl überwiegt. Paulus praktizierte solche Enthaltsamkeit, wie in seinen Worten deutlich wird: «Ich aber laufe nicht wie ins Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich schinde meinen Leib und bezwinge ihn, dass ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde» (1. Korinther 9,26-27).
In der erschütternden Nacht im Garten Gethsemane offenbarte Jesus Selbstbeherrschung und Selbstkontrolle, als sein menschliches Wesen ihn drängte, dem Grauen der Kreuzigung zu entfliehen. Diese vollendete göttliche Selbstdisziplin ist nur erreichbar, wenn sie ihren Ursprung in Gott selbst hat.
Geduld
Der Glaube, umgeben von Tugend, Erkenntnis und Selbstbeherrschung, fördert die Entwicklung von Geduld und Durchhaltevermögen. Die volle Bedeutung des griechischen Wortes «Hupomone», das im Deutschen mit Geduld oder Durchhalten übersetzt wird, erscheint zu passiv. Der Begriff Hupomone bezeichnet zwar Geduld, ist jedoch eine zielgerichtete Geduld, die auf ein erstrebenswertes und realistisches Ziel ausgerichtet ist. Es geht nicht nur um ein passives Abwarten, sondern um ein Ausharren mit Erwartung und beharrlicher Entschlossenheit. Die Griechen verwendeten diesen Begriff für eine Pflanze, die auch unter schwierigen und widrigen Umständen gedeiht. Im Hebräerbrief wird »Hupomone« (Erdulden) mit einer Beständigkeit in Verbindung gebracht, die in Erwartung des Sieges auch unter schwierigen Bedingungen durchhält und gedeiht: «Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes» (Hebräer 12,1-2).
Dies bedeutet beispielsweise, geduldig auf Heilung zu warten, wenn wir krank sind, oder auf den positiven Ausgang einer Bitte an Gott zu warten. Die Psalmen sind voll von Aufrufen zur Standhaftigkeit: «Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort» (Psalm 130,5).
Diese Bitten sind von einem festen Vertrauen auf Gottes liebende Macht begleitet, um gegen alle Herausforderungen gewappnet zu sein, die das Leben an uns stellt. Mit Standhaftigkeit sind Lebendigkeit und Optimismus verbunden, die nicht aufgeben wollen. Diese Entschlossenheit ist sogar stärker als unsere Angst vor dem Tod.
Frömmigkeit
Die nächste Tugend, die sich aus der Grundlage des Glaubens entwickelt, ist «Eusebeia» oder Frömmigkeit. Dieser Begriff bezieht sich auf die menschliche Verpflichtung zur Ehrfurcht vor Gott: «Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft» (2. Petrus 1,3).
Unser Leben sollte die aussergewöhnlichen Merkmale des von oben herab gegebenem Leben deutlich zum Ausdruck bringen. Unsere Mitmenschen sollen erkennen können, dass wir Kinder des himmlischen Vaters sind. Paulus erinnert uns daran: «Denn die leibliche Übung ist wenig nütze; aber die Frömmigkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens» (1. Timotheus 4,8 Neue Genfer Übersetzung).
Unser Verhalten sollte der Art Gottes ähneln, nicht aus eigener Kraft, sondern durch Jesus, der in uns lebt: «Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr» (Römer 12,17-19).
Brüderliche Liebe
Die ersten fünf der erwähnten Tugenden beziehen sich auf das innere Leben des Gläubigen und dessen Beziehung zu Gott. Die beiden letzten richten sich auf sein Verhältnis zu anderen Menschen. Brüderliche Liebe entspringt dem griechischen Begriff »Philadelphia« und bedeutet engagierte, praktische Fürsorge für andere. Sie umfasst die Fähigkeit, alle Menschen als Brüder und Schwestern Jesu Christi zu lieben. Leider neigen wir dazu, unsere Zuneigung missbräuchlich anzuwenden, indem wir sie vornehmlich jenen entgegenbringen, die uns ähnlich sind. Aus diesem Grund versuchte Petrus in seinem ersten Brief, seinen Lesern diese Haltung nahezulegen: «Von der brüderlichen Liebe aber ist es nicht nötig, euch zu schreiben. Denn ihr selbst seid von Gott gelehrt, euch untereinander zu lieben» (1.Thess 4,9).
Bruderliebe kennzeichnet uns in der Welt als Jünger Christi: «Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt» (Johannes 13,35). Der Glaube gründet in der Liebe Gottes, durch die wir in der Lage sind, unsere Geschwister zu lieben, wie Jesus uns liebt.
Die göttliche Liebe
Die Liebe zu den Geschwistern mündet in die »Liebe« zu allen Menschen. Diese Liebe ist weniger eine Angelegenheit der Gefühle, sondern vielmehr eine des Willens. Die göttliche Liebe, im Griechischen als »Agape« bezeichnet, stellt die übernatürliche Liebe dar und gilt als die Krone aller Tugenden: «Mein Gebet ist, dass Christus durch den Glauben in euch lebt. In seiner Liebe sollt ihr fest verwurzelt sein; auf sie sollt ihr bauen. Denn nur so könnt ihr mit allen anderen Christen das ganze Ausmass seiner Liebe erfahren. Ja, ich bete, dass ihr diese Liebe immer tiefer versteht, die wir doch mit unserem Verstand niemals ganz fassen können. Dann werdet ihr auch immer mehr mit dem ganzen Reichtum des Lebens erfüllt sein, der bei Gott zu finden ist» (Epheser 3,17-19).
Agape-Liebe verkörpert den Geist echten Wohlwollens gegenüber allen Menschen: «Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette» (1. Korinther 9,22).
Unsere Liebe können wir unter Beweis stellen, indem wir unsere Zeit, Fähigkeiten, Schätze und unser Leben für unsere Mitmenschen einsetzen. Interessant ist, dass dieses Loblied mit dem Glauben beginnt und in der Liebe gipfelt. Aufbauend auf dem Fundament Ihres Glaubens an Jesus Christus können Sie, lieber Leser, ein wahrhaft christliches Verhalten zeigen, in dem diese sieben Tugenden in der Nächstenliebe wirksam werden.
von Neil Earle
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