Wir sind geschaffene, abhängige und beschränkte Wesen. Keiner von uns hat Leben in sich selbst. Das Leben wurde uns gegeben und wird uns genommen. Der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist existiert seit Ewigkeit, ohne Anfang und ohne Ende. Er war stets beim Vater, von Ewigkeit her. Deshalb schreibt der Apostel Paulus: «Er [Jesus], der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäusserte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt» (Philipper 2,6-7). Der Prophet Jesaja beschreibt 700 Jahre vor Jesu Geburt den von Gott versprochenen Retter: «Er wuchs auf vor ihm wie ein Schössling, wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; wir sahen ihn, aber sein Anblick gefiel uns nicht» (Jesaja 53,2 Schlachter Bibel).
In besonderer Weise wird hier Jesu Leben, Leidensweg und dessen Erlösungswerk beschrieben. Luther übersetzte diesen Vers: «Er schoss auf vor ihm wie ein Reis». Daher kommt das Weihnachtslied: «Es ist ein Ros entsprungen». Damit ist keine Rose gemeint, sondern ein Reis, das ist ein junger Trieb, dünner Zweig oder auch der Spross einer Pflanze und ist ein Sinnbild für Jesus, den Messias oder Christus.
Der Prophet Jesaja stellt Jesus als schwachen Schössling dar, der aus dürrem und unfruchtbarem Boden hervorgebrochen ist! Eine Wurzel, die in einem fetten und fruchtbaren Feld aufschiesst, verdankt ihr Wachstum dem guten Boden. Jeder Landwirt, der eine Pflanze setzt, weiss, dass es von einem idealen Erdreich abhängig ist. Deshalb pflügt, düngt, mistet und bearbeitet er sein Feld, damit es ein nährstoffreicher guter Boden ist. Wenn wir eine Pflanze auf einem harten ausgetrockneten Untergrund oder sogar im Sand der Wüste üppig wachsen sehen, so sind wir ziemlich erstaunt und rufen: Wie kann hier noch etwas gedeihen? Genauso sieht es Jesaja. Das Wort dürr drückt aus, trocken und unfruchtbar zu sein, ein Zustand, der kein Leben hervorbringen kann. Das ist ein Bild der Menschheit, die von Gott getrennt ist. Sie ist festgefahren in ihrem sündhaften Lebensstil, ohne jede Möglichkeit, sich aus eigener Kraft aus dem Griff der Sünde zu befreien. Sie ist von Grund auf zerstört von dem Wesen der Sünde, getrennt von Gott.
Unser Heiland, Jesus Christus ist wie die Wurzel eines Sprosses, die nichts aus dem Boden nimmt, während sie wächst, sondern die alles in den kargen Boden hineinbringt, der nichts ist, nichts hat und nichts taugt. «Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet» (2. Korinther 8,9).
Können Sie den Sinn dieses Gleichnisses verstehen? Jesus lebte nicht durch das, was die Welt ihm gab, sondern die Welt lebt durch das, was Jesus ihr gibt. Im Gegensatz zu Jesus ernährt sich die Welt wie ein junger Trieb, der alles von dem fetten Boden nimmt und wenig zurückgibt. Das ist der grosse Unterschied zwischen dem Reich Gottes und unserer verdorbenen und argen Welt.
Jesus Christus verdankt nichts seiner menschlichen Abstammung. Jesu irdische Familie kann man wirklich mit dürrem Erdreich vergleichen. Maria war ein armes einfaches Mädchen vom Lande und Josef war ein ebenso armer Zimmermann. Da war nichts, wovon Jesus hätte profitieren können. Wenn er doch in einem Adelshaus zur Welt gekommen, wenn er der Sohn eines Grossen gewesen wäre, dann könnte man sagen: Jesus hat seiner Familie viel zu verdanken. Das Gesetz schrieb den Eltern Jesu vor, dass sie ihren Erstgeborenen nach dreiunddreissig Tagen dem Herrn darstellen und ein Opfer für die Reinigung Marias darbringen: «Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoss durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heissen, und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: Ein paar Turteltauben oder zwei junge Tauben» (Lukas 2,23-24). Die Tatsache, dass Maria und Josef kein Lamm als Opfer brachten, ist ein Zeichen ihrer Armut, in die Jesus hineingeboren wurde.
Jesus, der Sohn Gottes, wurde zwar in Bethlehem geboren, wuchs aber in Nazareth auf. Dieser Ort wurde von den Juden allgemein verachtet: «Philippus sah Nathanael und sagte zu ihm: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz geschrieben hat und der auch bei den Propheten angekündigt ist! Es ist Jesus, der Sohn Josefs; er kommt aus Nazareth. Aus Nazareth?«, entgegnete Nathanael. »Was kann aus Nazareth Gutes kommen?» (Johannes 1,45-46). Das war der Boden, in dem Jesus aufwuchs. Ein kostbares Pflänzlein, ein Röslein, ein Ros, eine Wurzel zart aus dürrem Erdreich entsprungen.
Als Jesus zur Erde in sein Eigentum kam, verspürte er nicht nur von Herodes Ablehnung. Die damaligen Religionsführer — die Sadduzäer, Pharisäer und Schriftgelehrten — hielten an Traditionen fest, die auf menschlichen Überlegungen (Talmud) basierten, und stellten sie über das Wort Gottes. «Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, doch die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf» (Johannes 1,10-11 Schlachter Bibel). Die Mehrheit des Volkes Israel nahm Jesus nicht an, so war er in seinem Eigentum ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich!
Seine Jünger waren auch dürres Erdreich. Er hätte sich, weltlich gesehen, ein paar einflussreiche Männer aus Politik und Wirtschaft berufen können und vorsichtshalber auch welche aus dem Hohen Rat, die für ihn hätten sprechen und das Wort ergreifen können: «Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist» (1. Korinther 1,27). Jesus ging zu den Fischerbooten am See Genezareth und wählte einfache Männer mit geringer Ausbildung aus.
«Gott der Vater wollte nicht, dass Jesus durch seine Jünger etwas wurde, sondern seine Nachfolger sollten durch Jesus alles geschenkt erhalten!»
Das erlebte auch Paulus: «Denn das ist mir klar geworden: Gegenüber dem unvergleichlichen Gewinn, dass Jesus Christus mein Herr ist, hat alles andere seinen Wert verloren. Um seinetwillen habe ich das alles hinter mir gelassen; es ist für mich nur noch Dreck, wenn ich bloss Christus habe» (Philipper 3,8 Hoffnung für Alle). Das ist die Bekehrung des Paulus. Er hielt seinen Vorteil, den er als Schriftgelehrter und Pharisäer hatte, für Dreck.
Wir sollten nie vergessen, wo wir herkamen und was wir waren, als wir ohne Jesus auf dieser Welt lebten. Lieber Leser, wie war es bei Ihrer eigenen Bekehrung. Jesus erklärte: «Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass ihn der Vater zieht, der mich gesandt hat» (Johannes 6,44 Schlachter Bibel). Als Jesus Christus zu Ihnen kam, um Sie zu retten, fand er den fruchtbaren Boden für das Wachstum seiner Gnade in Ihrem Herzen? Der Boden war hart, ausgetrocknet und tot. Wir Menschen können Gott nichts bringen als nur Dürre, Trockenheit, Sünde und Versagen. Die Bibel beschreibt dies mit der Verdorbenheit unseres Fleisches, der menschlichen Natur. Im Römerbrief spricht Paulus als ein bekehrter Christ, der zurückschaut auf die Zeit, als er noch in der Art des ersten Adam war, wie er als Sklave der Sünde lebte und von Gott getrennt war: «Denn ich weiss, dass in mir, das heisst in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht» (Römer 7,18). Die Erde muss von etwas anderem belebt werden: «Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben» (Johannes 6,63).
Der menschliche Boden, das Fleisch, taugt zu nichts. Was lehrt uns das? Sollte auf unserer Sündhaftigkeit und Hartherzigkeit ein Blümlein wachsen? Die Lilie der Busse vielleicht? Wohl eher eine Trockenblume des Krieges, des Hasses und der Vernichtung. Wo sollte sie herkommen? Aus dürrem Erdreich? Das ist unmöglich. Kein Mensch kann aus sich heraus bereuen, Busse oder Glauben hervorbringen! Warum? Weil wir geistlich tot waren. Dazu ist ein Wunder notwendig. Gott pflanzte in die Wüste unseres dürren Herzens einen Schössling vom Himmel hinein – das ist die geistliche Wiedergeburt: «Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen» (Römer 8,10). In der Einöde unseres Lebens, auf dem kein geistiges Wachstum möglich ist, hat Gott seinen Heiligen Geist, das Leben Jesu Christi gepflanzt. Das ist eine Pflanze, die nie zertreten werden kann.
Gott erwählt nicht, weil Menschen sich dazu entschliessen oder es verdient hätten, sondern weil er es aus Gnade und Liebe tut. Das Heil kommt vom Anfang bis zum Ende ganz aus Gottes Hand. Letztlich kommt nicht einmal die Grundlage für unsere Entscheidung für oder gegen den christlichen Glauben aus uns selbst: «Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme» (Epheser 2,8-9).
Wenn jemand durch Glauben an Christus und seine eigenen guten Werke gerettet werden könnte, dann hätten wir den absurden Zustand, dass es zwei Erlöser gibt, Jesus und den Sünder. Unsere gesamte Bekehrung resultiert nicht daraus, dass Gott so gute Voraussetzungen in uns vorgefunden hatte, sondern es hat ihm gefallen, dort seinen Geist einzupflanzen, wo ohne ihn nichts wachsen kann. Aber das Wunder aller Wunder ist: Die Pflanze der Gnade verändert den Boden unseres Herzens! Aus ehemals unfruchtbarem Erdreich wachsen Busse, Umkehr, Glaube, Liebe, Gehorsam, Heiligung und Hoffnung. Das kann nur die Gnade Gottes bewirken! Verstehen Sie das? Was Gott pflanzt, ist nicht abhängig von unserem Boden, sondern umgekehrt.
Durch den Setzling, Jesus Christus, der durch den Heiligen Geist in uns wohnt, erkennen wir unsere Unfruchtbarkeit und nehmen sein Geschenk der Gnade dankbar an. Das dürre Erdreich, der unfruchtbare Boden erhält durch Jesu Christus neues Leben. Das bewirkt die Gnade Gottes! Dieses Prinzip erklärte Jesus Andreas und Philippus: «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht» (Johannes 12,24).
Der Christus in uns, das abgestorbene Weizenkorn, ist das Geheimnis unseres Lebens und unseres geistlichen Wachstums: «Ihr verlangt ja einen Beweis dafür, dass Christus in mir redet, der euch gegenüber nicht schwach ist, sondern ist mächtig unter euch. Denn wenn er auch gekreuzigt wurde in Schwachheit, so lebt er doch aus Gottes Kraft. Und wenn wir auch schwach sind in ihm, so werden wir doch mit ihm leben aus der Kraft Gottes für euch. Erforscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst! Oder erkennt ihr an euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist?» (2. Korinther 13,3-5). Wenn Sie Ihren Wert nicht von Gott beziehen, sondern aus dem kargen Boden, irgend etwas anderem als Gott, so werden Sie sterben und tot bleiben. Sie leben erfolgreich, weil Jesu Kraft in Ihnen mächtig wirkt!
Das Gleichnis richtet Worte der Ermutigung an alle, die nach der Bekehrung ihre eigene Unfruchtbarkeit entdecken und ihrer Sündhaftigkeit bewusstwerden. Sie sehen die Defizite Ihrer Christusnachfolge. Sie fühlen sich wie die karge Wüste, die totale Trockenheit, mit einer ausgetrockneten Seele voller Selbstanklage, Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Versagen, Fruchtlosigkeit und Dürre.
Warum erwartet Jesus keine Mithilfe des Sünders, damit er ihn erretten kann? «Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm in Jesus wohnen zu lassen» (Kolosser 1,19).
Wenn die ganze Fülle in Jesus wohnt, so braucht er keinen Beitrag von uns und er erwartet ihn auch nicht. Christus ist alles! Erhalten Sie dadurch guten Mut? «Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefässen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns» (2. Korinther 4,7).
Stattdessen ist es Jesu Freude, in leere Herzen zu kommen und sie mit seiner Liebe zu füllen. Es macht ihm Freude, an gefrorenen Herzen zu arbeiten und sie durch seine spirituelle Liebe wieder zum Brennen zu bringen. Es ist seine Spezialität, toten Herzen Leben zu spenden. Leben Sie in einer Glaubenskrise, voller Anfechtungen und Sünde? Ist alles hart, trocken und dürr bei Ihnen? Keine Freude, kein Glaube, keine Frucht, keine Liebe, kein Feuer? Alles vertrocknet? Es gibt eine wunderbare Verheissung: «Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus» (Jesaja 42,3).
Ein glimmender Docht ist kurz davor, vollständig zu verlöschen. Er trägt keine Flamme mehr, weil das Wachs ihn erstickt. Diese Situation ist für Gott genau das Richtige. In Ihren trocknen Boden, in Ihr weinendes Herz hineinzukommen, da möchte er seine göttliche Wurzel, seinen Sprössling, Jesus Christus hinein pflanzen. Lieber Leser, es gibt eine wunderbare Hoffnung! «Und allezeit wird der Herr dich leiten, und in dürrem Land macht er dich satt, und deine Knochen macht er stark. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, deren Wasser nicht trügen» (Jesaja 58,11). Gott handelt so, damit er allein die Ehre bekommt. Deshalb wuchs der neugeborene Jesus auf wie ein Sprössling in dürrem Erdreich und nicht in fettem Boden.
von Pablo Nauer
Die Grundlage für diesen Artikel ist die Predigt von Charles Haddon Spurgeon, die er am 13. Oktober 1872 gehalten hatte.