Mein Mann Daniel hat ein Problem – ein Problem mit der Liebe, insbesondere mit Gottes Liebe. Über diese Problematik ist nicht gerade viel geschrieben worden. Man schreibt Bücher über das Problem von Schmerzen oder darüber, warum guten Menschen Schlimmes widerfährt, nicht aber über das Problem der Liebe. Mit Liebe verknüpft man gemeinhin etwas Gutes – etwas, wonach man strebt, worum man kämpft, wofür man sogar stirbt. Und dennoch bleibt sie für viele ein Problem, weil es schwer zu ergründen ist, welchen Regeln sie folgt.
Gottes Liebe wird uns ohne Gegenleistung zuteil; sie kennt kein Ende und bedenkt den Sadisten ebenso wie den Heiligen; Ungerechtigkeit bekämpft sie, ohne Waffen zu ergreifen. Man sollte also meinen, dass ein so wertvolles Gut gewissen Regeln des Marktes gehorche. Die einzige Regel jedoch, die meiner Erfahrung nach diesbezüglich zum Tragen kommt, besagt, dass Liebe wiederum Liebe gebiert. Wie viel man auch anderen davon entgegenbringen mag, immer wird man noch reicher damit gesegnet werden. Ein so wertvolles Gut ohne Gegenleistung empfangen zu dürfen, kann oft schwerer sein, als es den Anschein haben mag. So sieht mein Mann Daniel Gottes Liebe als ungerechtfertigte Gabe an. Seine persönlichen Defizite betrachtet er gleichsam unter einem, jedes noch so kleine Detail sichtbar machenden Brennglases, sodass sich sein ganzes Augenmerk ausschliesslich auf seine Mankos richtet, wo für ihn «ungerechtfertigte Liebe» kein Platz ist.
Daniel bringt sein Problem immer wieder im Gebet vor Gott, nimmt selbst Liebe an und teilt des Allmächtigen Liebe mit seinen Mitmenschen, besonders mit den ausgestossenen Obdachlosen, welche die von ihm betreuten Strassenzüge säumen. Er entdeckt dabei, dass er Liebe durchaus spüren kann, wenn er sich ihrem Ruf nicht verschliesst. Er hält inne, hört zu und betet für jene und teilt mit ihnen, die die Strassen einer Grossstadt ihr Zuhause nennen. Das ist nie leicht, aber Daniel hat das Gefühl, die Liebe fordere ihn genau dazu auf.
Vor einigen Wochen betete Daniel am Sonntagmorgen auf Knien zu Gott, er möge ihn seine Liebe stärker spüren lassen. Und der Allmächtige erhörte ihn – bei einem Imbiss-Restaurant, wo er ein gut 1,80 Meter langes Sandwich für eine Party erstanden hatte. Als Daniel das Geschäft mit dem Mega-Jumbo-Sandwich verliess, hörte er einen lauten Pfiff der Bewunderung, worauf er sich umwandte und in das wettergegerbte Gesicht eines Langzeitobdachlosen blickte, dem angesichts des Brotes das Wasser im Munde zusammenlief. Daniel lächelte, nickte ihm zu und wandte sich dann in Richtung seines Autos, – bis ihn genau die Liebe zur Umkehr mahnte.
Hallo, sagte er mit einem Grinsen, kann ich irgendwie helfen? Der Bettler entgegnete: Haben Sie etwas Kleingeld? Daniel verneinte, reichte ihm jedoch einen Dollar-Schein, während er sich zu ihm setzte und den Mann nach seinem Namen fragte. Daniel, entgegnete dieser. Mein Mann konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken und erwiderte: Super, ich heisse auch Daniel. Das gibt’s nicht, johlte sein neuer Bekannter ungläubig und fragte zum Beweis nach seinem Führerschein. Sobald er die zufriedenstellende Gewissheit hatte, dass Daniel tatsächlich derjenige war, für den er sich ausgab, schien er seiner Zufallsbekanntschaft wohlgesonnen zu sein, und so entspann sich zwischen den beiden Namensvettern ein Gespräch über die Dinge des Lebens. Schliesslich fragte Daniel ihn, ob er sich schon einmal um eine Arbeitsstelle bemüht habe, worauf Daniel antwortete, er habe stets angenommen, keiner werde ihn einstellen, weil er so schlecht rieche. Würdest du mich einstellen? Keiner würde einem wie mir einen Arbeitsplatz geben! Ich schon, entgegnete mein Mann. Genau in dem Augenblick änderte sich Daniels Gesichtsausdruck, und er begann zu stottern. Daniel wurde etwas nervös. Er hatte doch von der oft mit der Obdachlosigkeit einhergehenden geistigen Beeinträchtigung der Betroffenen gehört, aber er bemühte sich, den Worten seines Gesprächspartners zu folgen. Mühsam nuschelnd brachte dieser hervor: Ich habe dir etwas zu sagen, sagte der Obdachlose. Neugierig fragte Daniel nach: Was denn? Und mit einem reinen, fast kindhaften Gesicht schaute dieser knorrige, faltige, übel riechende Mann zu Daniel auf und sagte schlicht: «Jesus liebt dich!»
Daniel hatte mit den Tränen zu kämpfen, als er seine vom Himmel kommende Antwort vernahm. Die Liebe hatte ihn zur Umkehr bewogen, um ihn zu beschenken. Mein Mann fragte: Und was ist mit dir, Daniel? Liebt Jesus auch dich? Daniels Gesicht leuchtete von einer schier überirdischen Freude beseelt auf: Oh ja, Jesus liebt mich so sehr, was auch immer ich tue, er liebt mich.
Daniel hielt Daniel den Dollar-Schein entgegen, den dieser ihm gerade zuvor gegeben hatte: Hey, den brauche ich übrigens nicht! Du kannst ihn gern zurückhaben. Was er tatsächlich brauchte, hatte er bereits bekommen und mein Mann Daniel auch!
von Susan Reedy