Maria, Marta und Lazarus wohnten in Betanien, etwa drei Kilometer südöstlich des Ölbergs von Jerusalem. Jesus kehrte im Haus der beiden Schwestern Maria und Marta ein.
Was würde ich dafür geben, wenn ich das heute erleben dürfte, dass Jesus bei mir zu Hause einkehrt? Sichtbar, hörbar, spürbar und erfahrbar!
«Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf» (Lukas 10,38). Marta ist wahrscheinlich die ältere Schwester von Maria, weil sie zuerst genannt wird. «Und sie hatte eine Schwester, die hiess Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füssen und hörte seiner Rede zu» (Lukas 10,39).
Maria war von Jesus so fasziniert und überlegte deshalb nicht lange, sich zu den Jüngern vor Jesu auf dem Boden hinzusetzen und sah ihn begeistert und erwartungsvoll an. Jedes Wort liest sie ihm von seinen Lippen ab. Am Funkeln seiner Augen, wenn er von der Liebe seines Vaters spricht, kann sie sich nicht satt sehen. Jede Geste seiner Hände verfolgt sie mit ihrem Blick. Sie kann gar nicht genug von seinen Worten, Belehrungen und Erklärungen bekommen. Jesus ist das Spiegelbild des himmlischen Vaters. «Er (Jesus) ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung» (Kolosser 1,15). In sein Gesicht zu schauen bedeutete für Maria, die Liebe in Person zu sehen. Was für eine faszinierende Situation! Sie erlebte den Himmel auf Erden. Es war die Erfüllung der Verheissung im Alten Testament, die Maria erleben durfte. «Ja, er liebt die Völker! Alle Heiligen sind in deiner Hand. Sie werden sich setzen zu deinen Füssen und werden lernen von deinen Worten» (5. Mose 33,3).
Gott hat dieses Zusammensein dem Volk Israel versprochen. Zu Jesu Füssen dürfen auch wir sitzen und Jesu Worte intensiv in uns aufnehmen und seinen Worten Glauben schenken. Da wird es uns fast erschrecken, wenn wir im Lukasevangelium weiterlesen: «Marta hingegen machte sich viel Arbeit, um für das Wohl ihrer Gäste zu sorgen. Schliesslich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte: »Herr, findest du es richtig, dass meine Schwester mich die ganze Arbeit allein tun lässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!» (Lukas 10,40 Neue Genfer Übersetzung).
Die Intimität von Jesu und Maria wird durch die Worte Martas und ihren Gefühlen zerschlagen. Die beiden werden von der Wirklichkeit eingeholt. Es stimmt, was Marta sagt, es gibt viel zu tun. Aber wie reagiert Jesus auf die Frage von Marta: «Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden» (Lukas 10,41-42). Jesus schaut Marta genauso liebevoll an wie Maria. Er nimmt zur Kenntnis, dass sie sich viel Sorge und Mühe macht.
Warum ist an diesem Tag das Eine notwendig, das Maria getan hat? Weil es zu diesem Zeitpunkt Jesus so gefällt. Hätte Jesus an diesem Tag grossen Hunger gehabt, wäre er müde oder durstig gewesen, dann wäre das Essen von Marta als Erstes notwendig gewesen. Stellen wir uns vor, Maria hätte sich zu seinen Füssen gesetzt und hätte seine Müdigkeit nicht erkennen können, hätte sein unterdrücktes Gähnen nicht wahrgenommen und hätte ihn mit vielen Fragen bestürmt, wäre dies liebenswürdig und einfühlsam gewesen? Wohl kaum. Die Liebe pocht nicht auf die Leistung des anderen, sondern die Liebe möchte das Herz des Geliebten, seine Aufmerksamkeit, sein Interesse sehen, fühlen und feststellen!
Die Kirche, die Gemeinde Jesu haben schon immer aus dieser Erzählung herausgelesen, dass es eine Priorität, einen Vorrang gibt. Dieser Vorrang besteht sinnbildlich im Sitzen zu den Füssen Jesu, im Empfangen und Hören seiner Worte. Hören ist wichtiger als Dienen, denn wer nicht gelernt hat zuzuhören, der kann nicht richtig dienen oder dient sehr wahrscheinlich bis zum Zusammenbruch. Vor dem Tun kommt das Hören und vor dem Geben kommt das Erkennen und Empfangen! «Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?» (Römer 10,14)
Der Umgang Jesu, mit Frauen, war für die jüdische Umwelt unerträglich und provokativ. Aber Jesus lässt den Frauen eine absolute Gleichwertigkeit gegenüber Männern zukommen. Jesus kannte keine Vorurteile gegenüber Frauen. Bei Jesus fühlten sich die Frauen verstanden, ernstgenommen und wertgeschätzt.
Maria hat erkannt, dass es auf die Beziehung und Konzentration zu Jesus ankommt. Sie weiss, es gibt keine Abstufung der Menschen und es existieren keine unterschiedlichen Wertigkeiten. Maria hat erfahren, dass Jesus ihr seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Sie erkannte ihre Abhängigkeit von Jesu Liebe und erwiderte sie mit ihrer Zuwendung und Liebe zu Jesus. Sie konzentrierte sich nicht auf das Halten von Gottes Geboten gemäss dem alten Bund, sondern auf Jesu Worte und seine Person. Deshalb hat Maria das eine, das Gute gewählt.
Wenn wir die Erzählung von Maria und Marta in Lukas noch besser begreifen und verstehen möchten, sollten wir uns auch den Bericht von Johannes ansehen. Es ist eine ganz andere Situation. Lazarus lag bereits mehrere Tage tot im Grab, sodass Marta zu Jesus sagte, er stinkt schon. Dann haben sie ihren Bruder Lazarus durch Jesu Wunder vom Tod in das Leben zurückerhalten. Welche Freude für Maria, Marta und für Lazarus, der wieder lebendig am Tisch sitzen durfte. Was für ein schöner Tag. «Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Dort machten sie ihm ein Mahl, und Marta diente bei Tisch; Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch sassen» (Johannes 12,1-2).
Fragen wir uns, was für ein Tag war es für Jesus? Dieses Ereignis fand sechs Tage vor seiner Gefangennahme und der Gewissheit statt, gefoltert und gekreuzigt zu werden. Hätte ich gemerkt, dass sein Blick anders war als sonst? Hätte ich am Gesichtsausdruck feststellen können, dass er angespannt war oder hätte ich es wahrgenommen, dass seine Seele betrübt ist?
Heute an diesem Tag war Jesus bedürftig. In dieser Woche war er angefochten und erschüttert. Wer hat es gemerkt? Die zwölf Jünger? Nein! Maria wusste und empfand, heute an diesem Tag ist alles anders. Maria war klar, so habe ich meinen Herrn noch nie erlebt. «Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füsse Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füsse; das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls» (Johannes 12,3).
Maria war der einzige Mensch, der ahnte, wie es Jesus jetzt zu Mute war. Verstehen wir jetzt, wieso Lukas schrieb, dass nur eins notwendig ist, Christus zu sehen und ihn anzuschauen? Maria hatte erkannt, dass Jesus kostbarer ist als alle irdischen Schätze. Selbst der grösste Schatz ist im Vergleich zu Jesus wertlos. Deshalb schüttete sie das kostbare Öl auf die Füsse von Jesus, um Ihm eine Wohltat zu bereiten.
«Da sprach einer seiner Jünger, Judas Iskariot, der ihn hernach verriet: Warum wurde dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft und das Geld den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, weil ihm an den Armen lag, sondern er war ein Dieb; er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben wurde» (Johannes 12,4-6).
300 Silbergroschen (Denar) war die Grundbesoldung eines Arbeiters für ein ganzes Jahr. Maria kaufte mit allem, was sie besass, das wertvolle Salböl, brach die Flasche auf und schüttete Jesus das kostbare Nardenöl über seine Füsse. Was für eine Verschwendung sagen die Jünger.
Liebe ist verschwenderisch. Sonst ist es keine Liebe. Liebe, die berechnet, Liebe, die nachrechnet und sich fragt, ob sich das lohne oder in einem guten Verhältnis steht, ist keine echte Liebe. Maria schenkte sich Jesus in tiefer Dankbarkeit. «Da sprach Jesus: Lass sie. Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit» (Johannes 12,7-8).
Jesus stellte sich vollkommen hinter Maria. Er nahm ihre hingebungsvolle Danksagung und Wertschätzung an. Zudem schenkte Jesus ihrer Hingabe eine wahrhaftige Bedeutung, denn ohne ihr Wissen war Maria der Salbung am Tag des Begräbnisses zuvorgekommen. In der Parallelstelle im Matthäusevangelium fügte Jesus hinzu: «Dass sie dies Öl auf meinen Leib gegossen hat, hat sie getan, dass sie mich für das Begräbnis bereite. Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat» (Matthäus 26,12-13).
Jesus ist der Christus, das heisst der Gesalbte (Messias). Es war Gottes Plan, Jesus zu salben. In diesem göttlichen Plan hatte Maria unvoreingenommen gedient. Dadurch offenbart sich Jesus als der Sohn Gottes, der würdig ist, angebetet und bedient zu werden.
Das Haus wurde erfüllt von dem Duft der hingebungsvollen Liebe Marias. Welcher Wohlgeruch, wenn ein Mensch nicht seinen Glauben im Schweissgeruch seiner Überheblichkeit zum Ausdruck bringt, sondern in Liebe, Mitgefühl, Dankbarkeit und ganzer Aufmerksamkeit, so wie Maria sich Jesus zugewandt hatte.
Sechs Tage nach diesem Ereignis wurde Jesus gefoltert, gekreuzigt und begraben. Er ist nach drei Tagen von den Toten auferstanden — Jesus lebt!
Durch den Glauben Jesu, lebt er sein Leben mit seiner Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung in Ihnen. Sie haben durch ihn ein neues, geistliches Leben empfangen — ewiges Leben! Sie sind jetzt schon mit ihm in einer innigen Beziehung und leben mit ihm in vollkommener grenzenloser Liebe. «Dabei geht es um ein unbegreifliches Wunder, das Gott für alle Menschen auf dieser Erde bereithält. Ihr, die ihr zu Gott gehört, dürft dieses Geheimnis verstehen. Es lautet: Christus lebt in euch! Und damit habt ihr die feste Hoffnung, dass Gott euch Anteil an seiner Herrlichkeit gibt» (Kolosser 1,27 Hoffnung für Alle).
Wann haben Sie sich zu Jesu Füssen gesetzt und ihn gefragt: Was willst du heute, das ich tun soll? Wo und mit wem bist du heute am Wirken? Was beschäftigt dich, Jesus, heute ganz besonders oder was bereitet dir heute Sorgen? Konzentrieren Sie sich auf Jesus, schauen sie auf ihn, damit Sie die richtige Person, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort mit der richtigen Vorgehensweise sind, wie Maria es bei Jesus war. Fragen Sie ihn jeden Tag und jede Stunde: «Jesus, was willst du jetzt von mir! Wie kann ich dir jetzt für deine Liebe danken? Wie kann ich jetzt das mit dir teilen, was dich bewegt.»
Sie haben nicht die Aufgabe, an seiner Stelle oder in seiner scheinbaren Abwesenheit sein Werk aus sich selbst heraus zu tun, was nur in seinem Geiste und mit Jesus getan werden kann. «Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen» (Epheser 2,10). Christus ist für Sie gestorben und auferstanden, damit er als der Lebendige durch Sie und mit Ihnen lebt und Sie dadurch von Jesus fortwährend beschenkt werden. So sollen Sie sich in Ihrer Dankbarkeit auch Christus schenken, indem Sie die guten Werke, die von Jesus vorbereitet wurden, annehmen und tun.
von Pablo Nauer