Hochzeitswein
Johannes, ein Jünger Jesu, erzählt eine interessante Geschichte, die sich zu Beginn von Jesu Wirken auf Erden zugetragen hatte. Jesus half einer Hochzeitsgesellschaft aus einer grossen Verlegenheit, indem er Wasser in Wein von bester Qualität verwandelte. Diesen Wein hätte ich liebend gern einmal probiert und ich bin auf einer Linie mit Martin Luther, der feststellte: «Bier ist Menschenwerk, Wein aber ist von Gott».
Obwohl die Bibel nichts darüber aussagt, welche Weinsorte Jesus im Sinn gehabt hatte, als er bei der Hochzeit Wasser in Wein verwandelte, könnte es sich um «Vitis vinifera» gehandelt haben, eine Sorte, von der die meisten Trauben stammen, aus denen heutzutage Wein hergestellt wird. Diese Weinsorte bringt Trauben hervor, die eine dickere Schale und grössere Kerne haben und normalerweise süsser als die uns bekannten Tafelweine sind.
Ich finde es erstaunlich, dass Jesu erstes öffentliches Wunder, Wasser in Wein zu verwandeln, überwiegend im privaten Bereich stattfand, ohne dass die meisten Gäste der Hochzeitsgesellschaft überhaupt etwas mitbekommen haben. Johannes nannte das Wunder, ein Zeichen, durch das Jesus seine Herrlichkeit offenbarte (Johannes 2,11). Aber auf welche Weise tat er dies? Indem er Menschen heilte, offenbarte Jesus seine Autorität, Sünden zu vergeben. Indem er den Feigenbaum verfluchte, zeigte er, dass das Gericht über den Tempel kommen würde. Indem er am Sabbat heilte, offenbarte Jesus seine Autorität über den Sabbat. Indem er Menschen von den Toten auferweckte, offenbarte er, dass er die Auferstehung und das Leben ist. Indem er Tausende speiste, offenbarte er, dass er das Brot des Lebens ist. Indem er auf wundersame Weise ein Hochzeitsmahl in Kana grosszügig unterstützte, offenbarte Jesus ganz offensichtlich, dass er derjenige ist, der die Erfüllung der grossen Segnungen des Reiches Gottes bereithält. «Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen» (Johannes 20,30-31).
Dieses Wunder ist insofern von grosser Bedeutung, weil es den Jüngern Jesu ganz am Anfang einen Beweis lieferte, dass er wirklich der Mensch gewordene Sohn Gottes war, der gesandt wurde, um die Welt zu retten.
Wenn ich über dieses Wunder nachdenke, betrachte ich im Geiste, wie Jesus uns in etwas weitaus Herrlicheres verwandelt, als wir es ohne sein wunderbares Wirken in unserem Leben je sein würden.
Die Hochzeit zu Kana
Wenden wir uns nun einer eingehenderen Betrachtung der Geschichte zu. Sie beginnt mit einer Hochzeit in Kana, einem kleinen Dorf in Galiläa. Der Ort scheint dabei nicht so sehr von Bedeutung zu sein – vielmehr dagegen die Tatsache, dass es sich um eine Hochzeit handelte. Hochzeiten waren die grössten und bedeutendsten Feste der Juden – die wochenlangen Feierlichkeiten signalisierten den sozialen Status der neuen Familie innerhalb der Gemeinde. Hochzeiten waren derartige Freudenfeste, dass man häufig metaphorisch vom Hochzeitsbankett sprach, wenn man die Segnungen des messianischen Zeitalters beschreiben wollte. Jesus selbst zog dieses Bild zur Beschreibung von Gottes Reich in einigen seiner Gleichnisse heran.
Der Wein war ausgegangen und Maria verständigte Jesus, worauf dieser ihr entgegnete: «Was hat das mit dir und mir zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht da» (Johannes 2,4 Zürcher Bibel). Johannes weist an dieser Stelle darauf hin, dass Jesus mit seinem Tun seiner Zeit gewissermassen voraus ist. Maria erwartete, dass Jesus etwas tat, denn sie wies die Diener an zu tun, was immer er ihnen auch sagen mochte. Ob sie dabei an ein Wunder dachte oder an einen kurzen Abstecher zum nächstgelegenen Weinmarkt, wissen wir nicht.
Rituelle Waschungen
Johannes berichtet: «In der Nähe standen sechs steinerne Wasserkrüge, wie sie die Juden für die vorgeschriebenen Waschungen benutzen. Die Krüge fassten jeder zwischen achtzig und hundertzwanzig Liter» (Johannes 2,6 Neue Genfer Übersetzung). Für ihre Reinigungsbräuche bevorzugten sie Wasser aus steinernen Behältern, anstelle der sonst verwendeten Keramikgefässe. Diesem Teil der Geschichte scheint grosse Bedeutung zuzukommen. Jesus war im Begriff, für jüdische Waschungsriten bestimmtes Wasser in Wein zu verwandeln. Stellen Sie sich vor, was geschehen wäre, wenn Gäste ihre Hände nochmals hätten waschen wollen. Sie hätten die Wassergefässe aufgesucht und hätten ein jedes von ihnen mit Wein gefüllt vorgefunden! Für ihren Ritus selbst wäre kein Wasser mehr vorhanden gewesen. Somit löste die spirituelle Reinwaschung von Sünden durch das Blut Jesu die rituellen Waschungen ab. Jesus vollzog diese Riten und ersetzte sie durch etwas viel Besseres – sich selbst. Die Diener schöpften nun etwas Wein ab und trugen ihn zum Speisemeister, der daraufhin zum Bräutigam sagte: «Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten» (Johannes 2,10).
Warum, meinen Sie, hat Johannes diese Worte festgehalten? Etwa als Rat für künftige Bankette oder um zu zeigen, dass Jesus guten Wein machen kann? Nein, ich meine aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung. Der Wein ist ein Sinnbild für sein vergossenes Blut, das die Vergebung aller Schuld der Menschheit bewirkt. Die rituellen Waschungen waren nur ein Schatten von dem Besseren, das da kommen soll. Jesus brachte etwas Neues und Besseres.
Die Tempelreinigung
Zur Vertiefung dieses Themas berichtet uns Johannes im Folgenden, wie Jesus die Händler aus dem Vorhof des Tempels vertrieb. Er stellt die Geschichte wieder in den Zusammenhang mit dem Judentum: «Das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem» (Johannes 2,13). Jesus fand im Tempel Menschen, die dort Tiere verkauften und Geld wechselten. Es waren Tiere, die als Opfergaben der Gläubigen zur Sündenvergebung dargebracht wurden und Geld, das dazu diente, die Tempelsteuern zu zahlen. Jesus schnürte eine einfache Geissel und jagte alle hinaus.
Es überrascht schon, dass ein Einzelner alle Händler hinauszujagen vermochte. Ich nehme an, die Händler wussten, dass sie nicht hierhergehörten und dass auch viele der einfachen Leute sie hier nicht haben wollten. Jesus setzte lediglich in die Tat um, was die Menschen ohnehin schon spürten und die Händler wussten, dass sie zahlenmässig unterlegen waren. Josephus Flavius beschreibt andere Versuche jüdischer Glaubensführer, die Tempelbräuche zu ändern; in diesen Fällen erhob sich ein derartiger Aufschrei unter den Menschen, dass die Bemühungen abgebrochen wurden. Jesus hatte nichts dagegen, dass Menschen Tiere zu Opferzwecken verkauften bzw. für Tempelopfer bestimmtes Geld wechselten. Er sagte nichts hinsichtlich der dafür geforderten Wechselgebühren. Was er anprangerte, war schlicht und einfach der dafür gewählte Ort: «Er machte eine Geissel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stiess die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!» (Johannes 2,15-16). Aus dem Glauben hatten sie ein gewinnbringendes Geschäft gemacht.
Die jüdischen Glaubensführer nahmen Jesus nicht fest, sie wussten, dass das Volk guthiess, was er getan hatte, aber sie fragten ihn, was ihm die Berechtigung gab, so zu handeln: «Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten» (Johannes 2,18-19).
Jesus erklärte ihnen nicht, warum der Tempel nicht der richtige Ort für derartiges Treiben ist. Jesus sprach von seinem eigenen Leib, was die jüdischen Glaubensführer jedoch nicht wussten. Zweifellos hielten sie seine Antwort für lächerlich, trotzdem nahmen sie ihn jetzt nicht fest. Jesu Auferstehung zeigt, dass er befugt war, den Tempel zu reinigen und seine Worte deuteten bereits auf die bevorstehende Zerstörung desselben hin.
«Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte» (Johannes 2,20-22).
Jesus bereitete sowohl dem Tempelopfer als auch den Reinigungsritualen ein Ende und die jüdischen Glaubensführer halfen ihm auch noch unwissentlich dabei, indem sie versuchten, ihn körperlich zu vernichten. Innerhalb von drei Tagen jedoch sollte alles von Wasser in Wein und Wein symbolisch in sein Blut verwandelt werden – aus totem Ritual sollte der ultimative Glaubenstrank werden. Ich erhebe mein Glas zur Ehre Jesu, auf das Reich Gottes.
von Joseph Tkach