Es ist nicht fair!
Jesus trug kein Schwert, keinen Speer. Er hatte keine Armee hinter sich. Seine einzige Waffe war sein Mund, und was ihn in Schwierigkeiten brachte, war seine Botschaft. Er machte die Leute so wütend, dass sie ihn töten wollten. Seine Botschaft wurde als nicht nur falsch, sondern gefährlich empfunden. Sie war subversiv. Sie drohte die gesellschaftliche Ordnung des Judentums zu stören. Doch welche Botschaft konnte die religiöse Obrigkeit so erzürnen, dass sie ihren Überbringer töteten?
Ein Gedanke, der die religiöse Obrigkeit ärgern konnte, findet sich in Matthäus 9, 13: „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“. Jesus hatte eine frohe Botschaft für Sünder, aber viele von denen, die sich selbst für die Guten hielten, fanden, dass Jesus schlechte Nachrichten verkündete. Jesus lud Huren und Steuereinnehmer in das Reich Gottes ein, und den Guten passte das nicht. „Das ist unfair“, sagten sie vielleicht. „Wir haben uns so angestrengt, gut zu sein, warum können die dann in das Reich kommen, ohne sich anzustrengen? Wenn die Sünder nicht draussen bleiben müssen, ist es unfair!“
Mehr als fair
Stattdessen ist Gott mehr als fair. Seine Gnade geht weit über alles hinaus, das wir verdienen könnten. Gott ist grosszügig, voll Gnade, voll Erbarmen, voller Liebe zu uns, obwohl wir es nicht verdienen. Eine solche Botschaft stört religiöse Obrigkeiten und alle, die sagen, je mehr du dich anstrengst, desto mehr bekommst du; wenn du dich besser führst, bekommst du einen besseren Lohn. Diese Art Botschaft mögen religiöse Obrigkeiten, weil sie es leicht macht, die Menschen zu motivieren, sich anzustrengen, recht zu tun, gerecht zu leben. Aber Jesus sagt: So ist es nicht.
Wenn du dir selbst eine richtig tiefe Grube gegraben hast, wenn du immer und immer wieder Mist gebaut hast, wenn du der schlimmste Sünder warst, du musst dich nicht aus eigener Kraft aus der Grube herausarbeiten, um erlöst zu werden. Gott vergibt dir einfach um Jesu willen. Du musst es nicht verdienen, Gott tut es einfach. Du musst es nur glauben. Du musst Gott nur vertrauen, ihn beim Wort nehmen: Deine millionenschwere Schuld ist dir erlassen.
Einige Menschen finden diese Art Botschaft aber offenbar schlimm. „Schau, ich habe mich so angestrengt, aus der Grube herauszukommen“, sagen sie vielleicht, „und ich bin fast draussen. Und nun sagst du mir, dass ,die da‘ direkt aus der Grube gezogen werden, ohne sich überhaupt anstrengen zu müssen? Das ist unfair!“
Nein, Gnade ist nicht „fair“, es ist Gnade, ein Geschenk, das wir nicht verdient haben. Gott kann grosszügig sein, zu wem er grosszügig sein will, und die frohe Botschaft ist, dass er seine Grosszügigkeit allen anbietet. Sie ist fair in dem Sinn, dass sie für alle da ist, obwohl dies bedeutet, dass er manchen eine grosse Schuld vergibt und anderen eine kleinere – dasselbe Arrangement für alle, obwohl die Voraussetzungen unterschiedlich sind.
Ein Gleichnis über Fair und Unfair
In Matthäus 20 steht das Gleichnis von den Arbeitern im Weingarten. Einige erhielten genau das, was sie abgemacht hatten, andere hingegen mehr. Nun sagten die Männer, die den ganzen Tag gearbeitet hatten: „Das ist unfair. Wir haben den ganzen Tag gearbeitet, und es ist nicht fair, uns das Gleiche zu zahlen wie denen, die weniger gearbeitet haben“ (vgl. V. 12). Doch die Männer, die den ganzen Tag gearbeitet hatten, erhielten genau das, was sie vereinbart hatten, ehe sie mit der Arbeit begannen (V. 4). Sie murrten nur deshalb, weil andere mehr erhielten, als recht war.
Was sagte der Herr des Weinbergs? „Habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“ (V. 15). Der Herr des Weinbergs sagte, er werde ihnen einen fairen Tageslohn für eine faire Tagesleistung geben, und das tat er auch, und trotzdem beschwerten sich die Arbeiter. Warum? Weil sie sich selbst mit anderen verglichen und weniger begünstigt wurden. Sie hatten sich Hoffnungen gemacht und wurden darin enttäuscht.
Doch der Herr des Weinbergs sagte zu einem von ihnen: „Ich tue dir nicht Unrecht. Wenn du meinst, das sei nicht fair, liegt das Problem in deiner Erwartung, nicht in dem, was ihr tatsächlich erhalten habt. Hätte ich nicht den später Angekommenen so viel gezahlt, wäret ihr ganz zufrieden mit dem, was ich euch gegeben habe. Das Problem sind eure Erwartungen, nicht was ich getan habe. Ihr beschuldigt mich, ich sei schlecht, nur weil ich so gut zu einem anderen war“ (vgl. V. 13-15).
Wie würden Sie darauf reagieren? Was würden Sie denken, wenn Ihr Vorgesetzter den neuesten Kollegen einen Bonus geben würde, den alten, treuen Mitarbeitern aber nicht? Es wäre nicht sonderlich gut für die Moral, oder? Aber Jesus spricht hier nicht über Gehaltszulagen – er spricht in diesem Gleichnis über das Reich Gottes (V. 1). Das Gleichnis gibt etwas wieder, das im Wirken Jesu geschah: Gott schenkte Menschen, die sich nicht besonders angestrengt hatten, die Erlösung, und die religiöse Obrigkeit sagte: „Das ist unfair. Du darfst nicht so grosszügig zu ihnen sein. Wir haben uns angestrengt, und sie haben kaum etwas getan.“ Und Jesus antwortete: „Ich bringe die frohe Botschaft den Sündern, nicht den Gerechten.“ Seine Lehre drohte das normale Motiv für das Gutsein zu untergraben.
Was hat das mit uns zu tun?
Wir möchten vielleicht glauben, dass wir eine gute Belohnung verdient haben, nachdem wir den ganzen Tag gearbeitet und des Tages Last und Hitze getragen haben. Haben wir nicht. Es ist nicht wichtig, wie lang Sie in der Kirche waren oder wie viele Opfer Sie gebracht haben; das ist nichts im Vergleich zu dem, was Gott uns gibt. Paulus hat sich mehr angestrengt als wir alle; er hat mehr Opfer für das Evangelium gebracht, als wir begreifen, aber er hat es alles als Verlust für Christus gezählt. Es war nichts.
Die Zeit, die wir in der Kirche verbracht haben, ist nichts für Gott. Die Arbeit, die wir geleistet haben, ist nichts gegen das, was er tun kann. Selbst in Bestform sind wir unnütze Knechte, wie ein anderes Gleichnis sagt (Luk. 17, 10). Jesus hat unser ganzes Leben erkauft; er hat einen fairen Anspruch auf jeden Gedanken und jede Tat. Wir können ihm unmöglich etwas geben, das darüber hinausgeht – selbst wenn wir alles tun, was er gebietet.
In Wirklichkeit sind wir wie die Arbeiter, die nur eine Stunde arbeiteten und einen ganzen Tageslohn bekamen. Wir haben kaum angefangen und wurden bezahlt, als hätten wir tatsächlich etwas Nützliches getan. Ist das fair? Vielleicht sollten wir die Frage gar nicht stellen. Wenn das Urteil zu unseren Gunsten ausfällt, sollten wir keine zweite Meinung einholen!
Sehen wir uns als Leute, die lange und schwer gearbeitet haben? Glauben wir, wir verdienten mehr, als wir bekommen? Oder sehen wir uns als Menschen, die ein unverdientes Geschenk bekommen, gleichgültig wie lange wir gearbeitet haben? Das ist Stoff zum Nachdenken.
von Joseph Tkach