Eine biblische Figur, mit der wir uns alle identifizieren können, ist Simon, Bar Jona (Sohn des Jona), der uns als der Apostel Petrus bekannt ist. Durch die Evangelien lernen wir ihn als Person in all seiner wundersamen Komplexität und Widersprüchlichkeit kennen: Petrus, der selbst ernannte Verteidiger und Verfechter Jesu bis zum bitteren Ende. Petrus derjenige, der es wagte, den Meister zu korrigieren. Petrus, der langsam begreift, sich aber schnell an die Spitze der Gruppe setzt. Impulsiv und hingebungsvoll, irrational und einsichtig, unberechenbar und stur, eifrig und tyrannisch, offen und doch zu oft schweigend, wenn es darauf ankam – Petrus war ein Mann wie die meisten von uns. Oh ja, wir können uns alle mit Petrus identifizieren. Seine Wiederherstellung und Rehabilitation durch seinen Herrn und Meister möge uns alle inspirieren.
Petrus war ein Galiläer aus dem Norden Israels. Ein jüdischer Schriftsteller sagte, diese Naturburschen seien jähzornig, aber von Natur aus grossherzig. Der jüdische Talmud sagte über diese robusten Leute: Sie waren stets mehr auf Ehre als auf Gewinn bedacht. Der Theologe William Barclay beschrieb Petrus so: «Aufbrausend, impulsiv, emotional, leicht durch einen Aufruf zum Abenteuer zu erregen, loyal bis zum Ende – Petrus war ein typischer Galiläer». In den ersten 12 Kapiteln der sich schnell entwickelnden Apostelgeschichte wird die herausragende Stellung des Petrus unter den ersten Christen skizziert. Petrus ist es, der die Wahl eines neuen Apostels anstelle von Judas veranlasst (Apostelgeschichte 1,15-22). Petrus war der Wortführer der kleinen Schar bei der ersten Predigt am Pfingsttag (Apostelgeschichte 2). Petrus und Johannes liessen sich vom Glauben an ihren Herrn leiten, heilten einen bekannten Kranken im Tempel, zogen eine grosse Menschenmenge an und widersetzten sich bei ihrer Verhaftung den jüdischen Führern (Apostelgeschichte 4,1-22). 5000 Menschen kamen aufgrund dieser eindrucksvollen Ereignisse zu Christus.
Petrus war es, der nach Samaria ging, um die Sache des Evangeliums in diesem herausfordernden Missionsgebiet zu sichern. Er war es, der den gerissenen Magier Simon Magus zur Rede stellte (Apostelgeschichte 8,12-25). Petrus' Zurechtweisung bewirkte, dass zwei Betrüger tot umfielen (Apostelgeschichte 5,1-11). Petrus erweckte eine tote Jüngerin zum Leben (Apostelgeschichte 9,32-43). Aber sein vielleicht grösster Beitrag zur Kirchengeschichte bestand darin, dass er einen römischen Offizier in die Kirche taufte – ein mutiger Schritt, der ihm in der frühen jüdisch geprägten Kirche Kritik einbrachte. Gott benutzte ihn, um der heidnischen Welt die Tür des Glaubens zu öffnen (Apostelgeschichte 10, Apostelgeschichte 15,7-11).
Petrus. Petrus. Petrus. Er dominierte die frühe Kirche wie ein bekehrter Koloss. Unglaublich, dass die Kranken in den Strassen Jerusalems geheilt wurden, als allein schon sein Schatten auf sie viel (Apostelgeschichte 5,15).
Aber wie wir gesehen haben, verhielt er sich nicht immer so. In jener finsteren Nacht in Gethsemane, als die Schar kam, um Jesus zu verhaften, schlug Petrus einem Diener des Hohenpriesters mit einem unplatzierten Schwerthieb impulsiv ein Ohr ab. Später wurde ihm klar, dass diese Gewalttat ihn zu einem gezeichneten Mann machte. Sie könnte ihn das Leben kosten. Also folgte er Jesus von ferne. In Lukas 22,54-62 wird deutlich dargestellt, wie Petrus seinen Herrn verleugnet – dreimal, wie Jesus es vorausgesagt hatte. Nach seiner dritten Verleugnung, Jesus überhaupt gekannt zu haben, berichtet Lukas einfach: «Und er Herr wandte sich und sah Petrus an» (Lukas 22,61). Da wurde Petrus endlich klar, wie unsicher und unvorbereitet er wirklich war. Lukas weiter: «Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich». Gerade in dieser moralischen Niederlage lag sowohl die Gebrochenheit als auch die phänomenale Entwicklung von Petrus.
Petrus hatte ein grosses Ego-Problem. Es ist eines, was wir alle in dem einen oder anderen Masse haben. Petrus litt an einem übermässigen Stolz, an Selbstvertrauen, an übergrossem Vertrauen in seine eigenen menschlichen Fähigkeiten und sein Urteilsvermögen. Der 1. Johannesbrief, Kapitel 2, Vers 16 warnt uns davor, wie sehr hoffärtiges Leben (Stolz) unser Handeln bestimmt. Andere Texte zeigen, dass dieser stille Killer sich an uns heranschleichen und unsere besten Absichten zunichtemachen kann (1. Korinther 13,1-3). Das geschah mit Petrus. Es kann auch uns passieren.
Während wir uns der Passah- und Osterzeit nähern und uns darauf vorbereiten, das Brot und den Wein beim Abendmahl zu teilen, sind wir aufgerufen, uns auf diese tief verwurzelte Eigenschaft hin zu untersuchen (1. Korinther 11,27-29). Unser stiller Killer lässt sich am besten erkennen, wenn wir seine abscheulich unterschiedlichen Aspekte analysieren. Es gibt mindestens vier davon, auf die wir heute hinweisen können.
Erstens, der Stolz auf die eigene physische Stärke. Petrus war ein stämmiger Fischer, der wahrscheinlich die Partnerschaft zweier Brüderpaare an den Ufern Galiläas leitete. Ich bin mit Fischern aufgewachsen – sie können sehr hart und unverblümt sein und benutzen keine Seidentaschentücher. Petrus war der Mann, dem die Leute am liebsten folgten. Er mochte das raue und turbulente Leben. Das sehen wir in Lukas 5,1-11, als Jesus ihn aufforderte, ihre Netze auszuwerfen, um einen Fang zu machen. Petrus war derjenige, der protestierte: «Meister wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen». Aber wie üblich gab er der Aufforderung Jesu nach, und der plötzliche grosse Fischfang liess ihn verblüfft und emotional aus dem Gleichgewicht geraten. Dieses Auf und Ab blieb ihm erhalten und war wahrscheinlich auf sein übergrosses Selbstvertrauen zurückzuführen – eine Eigenschaft, die Jesus ihm helfen würde, durch göttlichen Glauben zu ersetzen.
Dieser zweite Aspekt wird als intellektueller Stolz (elitäres Wissen) bezeichnet. Er wird in 1. Korinther 8,1 erwähnt, wo uns gesagt wird, dass Erkenntnis aufbläht. Das tut es auch. Petrus wie auch viele der jüdischen Menschen, die Jesus folgten, dachten, sie wüssten schon alles. Jesus war eindeutig der erwartete Messias, und so war es nur natürlich, dass er die Prophezeiungen über nationale Grösse und die Ernennung der Juden zu obersten Führern in dem von den Propheten vorhergesagten Königreich erfüllen würde.
Es gab unter ihnen immer diese Spannung darüber, wer der Grösste im Reich Gottes sein würde. Jesus hatte ihren Appetit geweckt, indem er ihnen für die Zukunft zwölf Throne versprach. Was sie nicht wussten, war, dass dies in ferner Zukunft liegt. Jetzt zu ihrer Zeit kam Jesus, um sich als Messias zu erweisen und die Rolle des leidenden Gottesknechts (Jesaja 53) zu erfüllen. Doch Petrus, wie auch die anderen Jünger, entging diese Feinheit. Er dachte, er wüsste alles. Er lehnte die Ankündigungen (der Leiden und Auferstehung) von Jesus ab, da sie seinem Wissensstand widersprachen (Markus 8,31-33), und widersetzte sich Jesus. Das brachte ihm die Zurechtweisung ein: «Geh hinter mich, du Satan!»
Petrus hat sich geirrt. Er hat sich getäuscht, durch die Informationen, die er hatte. Er zählte 2 und 2 zusammen und erhielt 22, wie so viele von uns.
Noch in der Nacht, in der Jesus verhaftet wurde, stritten sich die sogenannten treuen Jünger darüber, wer der Grösste im Reich Gottes sein würde. Sie ahnten nicht, was für schreckliche drei Tage auf sie warteten. Petrus gehörte zu den verblendeten Jüngern und weigerte sich zunächst, sich von Jesus die Füsse waschen zu lassen, um ein Beispiel für Demut zu geben (Johannes 13). Der Stolz des Wissens kann das bewirken. Er zeigt sich, wenn wir meinen, alles zu wissen, wenn wir eine Predigt hören oder eine gottesdienstliche Handlung vollziehen. Es ist wichtig, dies zu erkennen, denn es ist Teil des tödlichen Stolzes, den wir in uns tragen.
Petrus und die ersten Jünger bekamen es mit ihrem Standesdünkel zu tun, als sie sich über die Mutter von Jakobus und Johannes ärgerten, weil sie für ihre Söhne die besten Plätze neben Jesus im Reich Gottes erbat (Matthäus 20,20-24). Sie ärgerten sich, weil sie überzeugt waren, dass diese Plätze ihnen zustehen müssten. Petrus war der anerkannte Anführer der Gruppe und störte sich daran, dass Jesus eine besondere Zuneigung zu Johannes zu haben schien (Johannes 21,20-22). Diese Art von Politik unter Christen ist in der Kirche weitverbreitet. Sie ist verantwortlich für einige der schlimmsten Fehltritte, die die christliche Kirche im Laufe der Geschichte begangen hat. Päpste und Könige kämpften im Mittelalter um die Vorherrschaft, Anglikaner und Presbyterianer brachten sich im 16. Jahrhundert gegenseitig um, und einige extreme Protestanten hegen bis heute einen tiefen Verdacht gegen Katholiken.
Es hat etwas damit zu tun, dass Religion, bei der es vordergründig darum geht, dem Unendlichen nahe zu kommen, mit den letzten Dingen in Berührung zu kommen, in unseren Köpfen zu «Ich liebe Gott mehr als du, also bin ich ihm näher als jeder andere» verkommen kann. So geht der Stolz auf die eigene Position oft in den Stolz Nummer vier über, den Stolz auf die Liturgie. Die westlichen und östlichen Kirchen hatten im Laufe der Jahre viele Spaltungen, und eine davon betraf die Frage, ob gesäuertes oder ungesäuertes Brot beim Abendmahl verwendet werden sollte. Diese Spaltungen haben dem Ansehen der Kirche im Laufe der Geschichte geschadet, denn der Durchschnittsbürger sieht diesen Streit als eine Auseinandersetzung, bei der es um die Frage geht: «Meine Hostie ist besser als deine». Auch heute noch feiern einige protestantische Gruppen das Abendmahl einmal in der Woche, andere einmal im Monat, und wieder andere weigern sich, es überhaupt zu feiern, weil es einen einheitlichen Leib symbolisiere, was, wie sie sagen, nicht den Tatsachen entspricht.
In 1. Timotheus 3,6 werden die Gemeinden davor gewarnt, jemanden, der neu im Glauben ist, zu ordinieren, damit er sich nicht aufblase und dem Urteil des Teufels verfalle. Dieser Hinweis auf den Teufel scheint den Stolz zur «Erbsünde» zu machen, denn er führte dazu, dass der Teufel sich in seiner Selbsteinschätzung so aufblähte, dass er sich gegen Gottes Plan stellte. Er konnte einfach nicht widerstehen, sein eigener Herr zu sein.
Stolz ist eine ernste Sache. Er bringt uns dazu, dass wir unsere Fähigkeiten überbewerten. Oder er nährt tief in uns den Wunsch, uns gut zu fühlen, indem wir uns über andere erheben. Gott hasst Stolz, weil er weiss, dass er unsere Beziehung zu ihm und zu anderen beeinträchtigen kann (Sprüche 6). Petrus hatte eine grosse Dosis davon, wie wir alle. Stolz kann uns in die ultimative geistliche Falle locken, indem wir die richtigen Dinge aus den falschen Gründen tun. Wir werden gewarnt, dass wir sogar unseren Körper aus heimlichem Stolz der Verbrennung ausliefern könnten, nur um anderen zu zeigen, wie rechtschaffen wir sind. Das ist geistliche Unreife und erbärmliche Blindheit aus einem wichtigen Grund. Jeder erfahrene Christ weiss, dass es nicht darauf ankommt, wie wir in den Augen der Menschen aussehen, um uns vor dem Jüngsten Gericht zu rechtfertigen. Nein. Es kommt darauf an, was Gott von uns denkt, und nicht darauf, was andere Menschen in unserem Umfeld denken. Wenn wir das erkannt haben, können wir echte Fortschritte im christlichen Leben machen.
Das war das Geheimnis des erstaunlichen Dienstes von Petrus in der Apostelgeschichte. Er hatte es begriffen. Der Vorfall in der Nacht der Verhaftung Jesu führte endgültig zum Zusammenbruch des alten Petrus. Er ging hinaus und weinte bitterlich, weil er endlich dieses giftige Gebräu, das man den Stolz des Egos nennt, erbrechen konnte. Der alte Petrus hatte einen fast tödlichen Zusammenbruch erlitten. Er hatte noch einen weiten Weg vor sich, aber er hatte den Wendepunkt seines Lebens erreicht.
So möge es auch von uns gesagt werden. Wenn wir uns dem Gedenken an den Opfertod Jesu nähern, lasst uns daran denken, dass wir, wie Petrus, durch unsere Gebrochenheit zu etwas Neuem werden können. Danken wir Gott für das Beispiel des Petrus und die Liebe unseres geduldigen, weitsichtigen Meisters.
von Neil Earle