Geboren, um zu sterben
Der christliche Glaube verkündet die Botschaft, dass der Sohn Gottes zu gegebener Zeit an vorbestimmtem Ort Fleisch wurde und unter uns Menschen lebte. Jesus war dabei von so bemerkenswerter Persönlichkeit, dass einige gar sein Mensch-Sein an sich anzweifelten. Die Bibel betont aber immer wieder, dass er Gott im Fleisch – von einer Frau geboren – tatsächlich Mensch war, uns also, von unserer Sündhaftigkeit abgesehen, in jeder Hinsicht glich (Johannes 1,14; Galater 4,4; Philipper 2,7; Hebräer 2,17). Er war tatsächlich Mensch. Die Fleischwerdung Jesu Christi wird üblicherweise mit dem Weihnachtsfest gefeiert, selbst wenn sie eigentlich mit Marias Schwangerschaft begann, nach traditionellem Kalender also am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung (ehedem auch Fest der Inkarnation bzw. Menschwerdung Gottes genannt).
Christus der Gekreuzigte
So wichtig die Empfängnis und Geburt Jesu unserem Glauben nach auch sein mögen, stehen sie dennoch nicht an allererster Stelle der Glaubensbotschaft, die wir in die Welt tragen. Als Paulus in Korinth predigte, verkündete er eine weitaus provozierendere Botschaft: die des gekreuzigten Christus (1. Korinther 1,23).
Die griechisch-römische Welt kannte viele Geschichten von Gottheiten, die geboren wurden, von einem Gekreuzigten hatte dagegen keiner je etwas gehört. Es war grotesk – etwa so als sagte man den Menschen Erlösung zu, wenn sie nur an einen hingerichteten Kriminellen glaubten. Wie aber sollte es möglich sein, durch einen Kriminellen erlöst zu werden?
Genau das war jedoch der entscheidende Punkt – der Sohn Gottes erlitt wie ein Krimineller den schmählichen Tod am Kreuz und erlangte erst dann durch die Auferstehung die Herrlichkeit wieder. Petrus erklärte gegenüber dem Hohen Rat: „Der Gott unsrer Väter hat Jesus auferweckt ... Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zum Fürsten und Heiland, um Israel Busse und Vergebung der Sünden zu geben“ (Apostelgeschichte 5,30-31). Jesus ist von den Toten auferstanden und erhöht worden, damit unsere Sünden getilgt werden.
Petrus versäumte jedoch nicht, auch auf den peinlichen Teil der Geschichte einzugehen: „... den ihr an das Holz gehängt und getötet habt.“ Der Begriff „Holz“ hat die jüdischen Glaubensführer zweifellos an die Worte in 5Mo 21,23 erinnert: „... ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott.“
Auweia! Warum musste Petrus dies zur Sprache bringen? Er versuchte nicht, die gesellschaftspolitische Klippe zu umschiffen, sondern bezog diesen Aspekt vielmehr bewusst ein. Seine Botschaft lautete nicht allein, dass Jesus starb, sondern noch dazu auf diese entehrende Weise. Dies war nicht nur Teil der Botschaft, es war sogar ihre zentrale Aussage. Als Paulus in Korinth predigte, wollte er als zentrales Anliegen seiner Verkündigung nicht allein den Tod Christi als solchen verstanden wissen, sondern seinen Tod am Kreuz (1. Korinther 1,23).
In Galatien bediente er sich ganz offensichtlich einer besonders anschaulichen Aus¬drucks¬weise: „... denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte“ (Galater 3,1). Warum musste Paulus mit soviel Nachdruck einen so schrecklichen Tod herausstellen, den die Heilige Schrift als sicheres Zeichen von Gottes Verfluchung ansah?
War das nötig?
Warum hatte Jesus überhaupt so einen schrecklichen Tod erleiden müssen? Wahrscheinlich hatte Paulus sich lange und eingehend mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er hatte den auferstandenen Christus gesehen und wusste, dass Gott in eben diesem Menschen den Messias gesandt hatte. Warum aber sollte Gott jenen Gesalbten eines Todes sterben lassen, den die Heilige Schrift als Verfluchung ansieht? (So glauben auch Moslems nicht, dass Jesus gekreuzigt wurde. In ihren Augen war er ein Prophet, und Gott würde es wohl kaum je zugelassen haben, dass ihm in dieser Eigenschaft Derartiges widerfährt. Sie vertreten die Auffassung, jemand anderes sei an Jesu statt gekreuzigt worden.)
Und in der Tat betete auch Jesus im Garten Gethsemane, es möge für ihn einen anderen Weg geben, aber den gab es nicht. Herodes und Pilatus taten lediglich, was Gott „vorherbestimmt hatte, dass es geschehen sollte“ – dass er nämlich auf diese, mit einem Fluch belegte Weise zu Tode kommen sollte (Apostelgeschichte 4,28; Zürcher Bibel).
Warum? Weil Jesus für uns – für unsere Sünden – starb und auf uns aufgrund unserer Sündhaftigkeit ein Fluch lastet. Selbst unsere kleinen Verfehlungen kommen in ihrer Verwerflichkeit vor Gott einer Kreuzigung gleich. Die ganze Menschheit unterliegt einem Fluch, da sie sich der Sünde schuldig macht. Die gute Botschaft aber, das Evangelium, verheisst: „Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns“ (Galater 3,13). Jesus wurde für jeden von uns gekreuzigt. Er nahm die Schmerzen und die Schande auf sich, die eigentlich wir zu tragen verdient haben.
Andere Analogien
Dies ist jedoch nicht die einzige Analogie, die die Bibel uns aufzeigt, und Paulus geht auf diese bestimmte Sichtweise lediglich in einem seiner Briefe ein. Häufiger heisst es bei ihm einfach, Jesus sei „für uns gestorben“. Auf den ersten Blick nimmt sich die hier gewählte Wendung lediglich wie ein schlichter Tausch aus: Wir verdienten den Tod, Jesus erbot sich, freiwillig für uns zu sterben, und somit bleibt uns dies erspart.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Zum einen sterben wir Menschen ja noch immer. Und aus einem anderen Blickwinkel betrachtet sterben wir mit Christus (Römer 6,3-5). Nach dieser Analogie war Jesu Tod sowohl stellvertretend für uns (er starb an unserer statt) als auch partizipatorisch (d.h. wir haben an seinem Tod Anteil, indem wir mit ihm sterben); womit ziemlich klar ist, worauf es ankommt: Wir sind durch die Kreuzigung Jesu erlöst, können also einzig und allein durch das Kreuz Christi errettet werden.
Eine weitere, von Jesus selbst gewählte Analogie, zieht als Vergleich Lösegeld heran: „... der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele" (Markus 10,45). So als seien wir von einem Feind gefangengehalten worden und Jesu Tod sichere uns die Freiheit.
Paulus stellt einen ähnlichen Vergleich an, indem er von uns sagt, wir seien freigekauft worden. Dieser Begriff mag manche Leser an den Sklavenmarkt erinnern, andere vielleicht auch an den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Sklaven konnten von der Sklaverei freigekauft werden, und so kaufte Gott auch das Volk Israel von Ägypten frei. Indem er seinen Sohn sandte, hat uns unser himmlischer Vater teuer erkauft. Dieser nahm die für unsere Sünden zu tragende Strafe auf sich.
In Kolosser 2,15 wird ein anderes Bild zum Vergleich herangezogen: „... er hat die Gewalten und die Mächte völlig entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt. In ihm [im Kreuz] hat er den Triumph über sie gehalten“ (Elberfelder Bibel). Das hier gezeichnete Bild stellt eine Siegesparade dar: Der siegreiche militärische Führer bringt die entwaffneten, gedemütigten Gefangenen in Ketten in die Stadt. Diese Textstelle im Kolosserbrief macht deutlich, dass Jesus Christus durch seine Kreuzigung die Macht all seiner Feinde gebrochen und für uns den Sieg davongetragen hat.
Die Bibel vermittelt uns die Heilsbotschaft in Bildern und nicht in Form festgefügter, unverrückbarer Glaubensformeln. So ist z.B. Jesu Opfertod an unserer statt lediglich eines von vielen Bildern, derer sich die Heilige Schrift bedient, um den entscheidenden Punkt deutlich zu machen. Ebenso wie die Sünde auf vielfältige Weise beschrieben wird, kann auch Jesu Wirken zur Tilgung unserer Sünden unterschiedlich dargestellt werden. Wenn wir die Sünde als Gesetzesbruch ansehen, so können wir in der Kreuzigung einen Akt der an unserer statt geleisteten Strafverbüssung erkennen. Wenn wir sie als Verletzung von Gottes Heiligkeit betrachten, sehen wir in Jesus das dafür aufkommende Sühneopfer. Wenn sie uns beschmutzt, wäscht uns das Blut Jesu rein. Sehen wir uns von ihr unterjocht, so ist Jesus unser Erlöser, unser siegreicher Befreier. Wo sie Feindschaft sät, bringt Jesus Versöhnung. Sehen wir in ihr ein Zeichen der Ignoranz oder Dummheit, ist es Jesus, der uns Erleuchtung und Weisheit gibt. All diese Bilder sind uns eine Hilfe.
Ist Gottes Zorn zu besänftigen?
Gottlosigkeit ruft Gottes Zorn hervor, und es wird ein „Tag des Zorns“ sein, an dem er die Welt richtet (Römer 1,18; 2,5). Diejenigen, die „der Wahrheit nicht gehorchen“, werden bestraft werden (Vers 8). Gott liebt die Menschen und sähe es lieber, wenn sie sich änderten, aber er bestraft sie, wenn sie sich ihm hartnäckig widersetzen. Wer sich der Wahrheit von Gottes Liebe und Gnade verschliesst, wird seine Strafe erhalten.
Anders als ein zürnender Mensch, der erst besänftigt werden muss, bevor er sich wieder beruhigen kann, liebt er uns und sorgte dafür, dass uns unsere Sünden vergeben werden konnten. Sie wurden also nicht einfach ausgelöscht, sondern mit echten Konsequenzen Jesus übertragen. „Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht“ (2. Korinther 5,21; Zürcher Bibel). Jesus wurde für uns zum Fluch, er wurde für uns zur Sünde. So wie unsere Sünden auf ihn übertragen wurden, ging seine Gerechtigkeit auf uns über, „damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden“ (selber Vers). Von Gott ist uns Gerechtigkeit gegeben.
Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes
Das Evangelium offenbart die Gerechtigkeit Gottes – dass er nämlich Gerechtigkeit walten lässt, uns zu vergeben anstatt uns zu verurteilen (Römer 1,17). Dabei ignoriert er unsere Sünden nicht, sondern nimmt sich ihrer mit der Kreuzigung Jesu Christi an. Das Kreuz ist Zeichen sowohl der Gerechtigkeit Gottes (Römer 3,25-26) als auch seiner Liebe (5,8). Es steht für Gerechtigkeit, weil es die Bestrafung der Sünde durch den Tod angemessen widerspiegelt, gleichzeitig aber auch für die Liebe, weil der Vergebende den Schmerz bereitwillig auf sich nimmt.
Jesus zahlte den Preis für unsere Sünden – den persönlichen Preis in Gestalt von Schmerz und Schmach. Er erlangte Versöhnung (die Wiederherstellung einer persönlichen Gemeinschaft) durch das Kreuz (Kolosser 1,20). Selbst als wir noch Feinde waren, starb er für uns (Römer 5,8).
Zur Gerechtigkeit gehört mehr als Gesetzestreue. Der barmherzige Samariter gehorchte keinem Gesetz, das ihm vorschrieb, dem Verwundeten zu helfen, aber er handelte recht, indem er half.
Wenn es in unserer Macht steht, einen Ertrinkenden zu retten, sollten wir nicht zögern, es zu tun. Und so stand es in der Macht Gottes, eine der Sünde verfallene Welt zu retten, und er tat es, indem er Jesus Christus sandte. „... er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1. Johannes 2,2). Er starb für uns alle, und er tat es, selbst „als wir noch Sünder waren“.
Durch Glauben
Gottes Gnadenerweis uns gegenüber ist Zeichen seiner Gerechtigkeit. Er handelt gerecht, indem er uns Gerechtigkeit zuspricht, obwohl wir Sünder sind. Warum? Weil er Christus zu unserer Gerechtigkeit machte (1. Korinther 1,30). Da wir mit Christus vereint sind, gehen unsere Sünden auf ihn über, und wir erlangen seine Gerechtigkeit. Unsere Gerechtigkeit haben wir also nicht aus uns heraus, sondern sie kommt von Gott und wird uns durch unseren Glauben zuteil (Philipper 3,9).
„Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus“ (Römer 3,22-26).
Jesu Sühneopfer galt allen, aber nur denjenigen, die an ihn glauben, werden die damit verbundenen Segnungen zuteil. Nur wer die Wahrheit annimmt, kann die Gnade erfahren. Damit erkennen wir seinen Tod als den unseren an (als den von ihm an unserer statt erlittenen Tod, an dem wir teilhaben); und wie seine Strafe, so erkennen wir auch seinen Sieg und seine Auferstehung als die unsrigen an. So ist Gott sich selbst treu – ist barmherzig und gerecht. Über die Sünde wird ebenso wenig hinweggesehen wie über die Sünder selbst. Gottes Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht (Jakobus 2,13).
Durch das Kreuz hat Christus die ganze Welt ausgesöhnt (2. Korinther 5,19). Ja, durch das Kreuz wird das ganze Universum mit Gott versöhnt (Kolosser 1,20). Der ganzen Schöpfung wird Erlösung zuteil aufgrund dessen, was Jesus getan hat! Das übersteigt nun wirklich alles, was wir mit dem Begriff Erlösung verbinden, nicht wahr?
Geboren um zu sterben
Das Entscheidende ist, dass wir durch den Tod Jesu Christi erlöst sind. Ja, aus eben diesem Grund wurde er Fleisch. Um uns zur Herrlichkeit zu führen, gefiel es Gott, Jesus leiden und sterben zu lassen (Hebräer 2,10). Weil er uns erlösen wollte, wurde er wie wir; denn nur dadurch, dass er für uns starb, konnte er uns erretten.
„Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermassen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten“ (2,14-15). Durch Gottes Gnade erlitt Jesus den Tod für jeden von uns (2,9). „...Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte...“ (1. Petrus 3,18).
Die Bibel gibt uns auf vielfältige Weise Gelegenheit, darüber nachzudenken, was Jesus für uns am Kreuz tat. Dabei verstehen wir sicher nicht in allen Einzelheiten, wie alles „miteinander zusammenhängt“, aber wir akzeptieren, dass es so ist. Weil er starb, können wir das ewige Leben mit Gott in Freuden teilen.
Abschliessend möchte ich einen weiteren Aspekt des Kreuzes aufgreifen – den des Vorbilds:
„Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben“ (1. Johannes 4,9-11).
von Joseph Tkach