In der Apostelgeschichte 1,9 wird uns berichtet: „Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.“ Dabei stellt sich mir eine einfache Frage: Warum?
Bevor wir aber auf diese Frage zurückkommen, wollen wir uns den folgenden drei Versen zuwenden: Und während sie dem entschwindenden Heiland noch nachschauten, tauchten neben ihnen zwei weiss gekleidete Männer auf: „Ihr Männer von Galiläa“, sagten sie, „was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heisst Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt“ (Apostelgeschichte 1,10-12).
An dieser Bibelstelle geht es um zwei grundlegende Punkte – Jesus entfährt gen Himmel, und er wird wiederkommen. Beide Punkte sind im christlichen Glauben von hohem Stellenwert, und beide sind zudem u.a. Bestandteil des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Zunächst einmal fuhr Jesus gen Himmel auf. In diesem Zusammenhang ist gemeinhin von Christi Himmel fahrt die Rede, ein Feiertag, der jährlich an einem Donnerstag 40 Tage nach Ostern begangen wird.
Des Weiteren hebt diese Bibelstelle darauf ab, dass Jesus wiederkehren wird – er wird in gleicher Weise wiederkehren, wie er gen Himmel aufgefahren ist. Meiner Meinung nach weist dieser letzte Punkt auf eben den Grund hin, weshalb Jesus für alle sichtbar gen Himmel fuhr – auf diese Weise wurde betont, dass er gleichermassen für alle sichtbar wiederkehren wird.
Es wäre einfach für ihn gewesen, seine Jünger lediglich wissen zu lassen, er werde zu seinem Vater zurückkehren und eines Tages wieder auf die Erde kommen – er wäre dann einfach, wie schon zu anderen Gelegenheiten, entschwunden, diesmal jedoch, ohne wieder gesehen zu werden. Ein anderer, theologischer Grund für sein sichtbares Entschweben gen Himmel ist mir nicht bekannt. Er wollte seinen Jüngern und durch sie auch uns ein Zeichen setzen, wollte eine bestimmte Botschaft vermitteln.
Indem er für alle sichtbar entschwand, machte Jesus deutlich, dass er sich nicht allein von der Erde entfernte, sondern zur Rechten seines Vaters im Himmel sitzen würde, um für uns als ewiger Hohepriester einzutreten. Wie es ein Autor einmal ausdrückte, ist Jesus „unser Mann im Himmel“. Wir haben im Himmelreich jemanden, der versteht, wer wir sind, der unsere Schwächen und Bedürfnisse kennt, weil er selbst Mensch ist. Selbst im Himmel ist er noch immer gleichsam Mensch und Gott.
Auch nach seiner Himmelfahrt nennt ihn die Heilige Schrift einen Menschen. Als Paulus auf dem Areopag zu den Athenern predigte, sagte er, Gott werde die Welt durch einen von ihm bestimmten Menschen richten, und jener sei Jesus Christus. Und als er Timotheus schrieb, sprach er ihm gegenüber vom Menschen Christus Jesus. Er ist noch immer ein Mensch und als solcher noch immer leiblich. Leiblich ist er von den Toten auferstanden und leiblich gen Himmel aufgefahren. Was uns zur Frage führt, wo genau denn jener Leib jetzt ist? Wie kann ein allgegenwärtiger, weder räumlich noch materiell Grenzen unterworfener Gott zugleich leiblich an einem bestimmten Ort existent sein?
Schwebt der Leib Jesu irgendwo im All umher? Ich weiss es nicht. Ich weiss auch nicht, wie Jesus geschlossene Türen durchschreiten oder sich dem Gesetz der Schwerkraft widersetzend in die Lüfte erheben konnte. Ganz offensichtlich kommen die physikalischen Gesetze bei Jesus Christus nicht zum Tragen. Er ist zwar immer noch leiblich existent, aber er unte rliegt nicht jenen Grenzen, die der Leiblichkeit gemeinhin eigen sind. Damit ist die Frage nach der örtlichen Existenz des Leibes Christi immer noch nicht beantwortet, aber ihr dürfte wohl auch nicht unsere grösste Sorge gelten, nicht wahr?
Wissen müssen wir, dass Jesus im Himmel ist, nicht aber, wo genau. Wichtiger für uns ist es, über den geistlichen Leib Christi Bescheid zu wissen, wie Jesus nämlich gegenwärtig auf Erden innerhalb der kirchlichen Gemeinde wirkt. Und er tut dies durch den Heiligen Geist.
Mit seiner körperlichen Auferstehung gab Jesus ein sichtbares Zeichen dafür, dass er als Mensch wie auch als Gott weiter existieren würde. Damit ist uns gewiss, dass er als Hohepriester Verständnis für unsere Schwächen hat, wie es im Hebräerbrief heisst. Mit der für alle sichtbaren Himmelfahrt wird eines deutlich: Jesus entschwand nicht einfach – vielmehr setzt er als unser Hohepriester, Fürsprecher und Vermittler sein geistliches Wirken lediglich auf andere Weise fort.
Ich sehe noch einen weiteren Grund, warum Jesus leiblich und für alle sichtbar gen Himmel auffuhr. Bei Johannes 16,7 heisst es, Jesus habe seinen Jüngern gegenüber geäussert: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.“
Ich bin mir nicht sicher, warum, aber offensichtlich musste Jesu Himmelfahrt Pfingsten zeitlich vorangehen. Und als die Jünger Jesus gen Himmel auffahren sahen, war ihnen zugleich das Kommen des verheissenen Heiligen Geistes gewiss.
Somit herrschte keine Traurigkeit, zumindest wird in der Apostelgeschichte nichts dergleichen erwähnt. Man war nicht bekümmert angesichts der Tatsache, dass die mit dem leiblich präsenten Jesus verbrachten guten alten Tage der Vergangenheit angehörten. Die zurückliegende gemeinsame Zeit wurde auch nicht idealisiert. Vielmehr blickte man freudig in die Zukunft, die noch viel Bedeutenderes zu bringen verhiess, wie Jesus versprochen hatte.
Verfolgen wir die Apostelgeschichte weiter, so lesen wir von einem aufgeregten Treiben unter den 120 Glaubensbrüdern. Sie waren zusammengekommen, um zu beten und die vor ihnen liegende Arbeit zu planen. Sie wussten, dass sie einen Auftrag zu erfüllen hatten, und deshalb wählten sie einen Apostel, der an Judas’ Stelle treten sollte. Ihnen war bekannt, dass sie stellvertretend für das neue Israel, dessen Grund Gott legte, 12 Apostel sein mussten. Sie hatten sich zu einer gemeinsamen Besprechung getroffen; denn es lag ja durchaus einiges zu entscheiden vor.
Jesus hatte ihnen bereits die Weisung erteilt, als seine Zeugen in alle Welt zu gehen. Sie mussten lediglich, wie Jesus ihnen geboten hatte, bis zur Erteilung der geistlichen Macht, bis zum Empfangen des verheissenen Trösters, in Jerusalem warten.
Somit kam Jesu Himmelfahrt einem dramatischen Trommelwirbel gleich, einem Spannungsmoment in Erwartung der Initialzündung, die die Apostel in stetig bedeutender werdende Sphären ihres Glaubensdienstes hinauskatapultieren sollte. Wie Jesus ihnen verheissen hatte, sollten sie kraft des Heiligen Geistes noch Bedeutenderes vollbringen als der Herr selbst. Und die für alle sichtbare Himmelfahrt Jesu verhiess in der Tat, dass Bedeutenderes geschehen würde.
Jesus nannte den Heiligen Geist „einen andern Tröster“ (Johannes 14,16); im Griechischen gibt es nun zwei unterschiedliche Begriffe für „andern“. Der eine bezeichnet etwas Ähnliches, der andere etwas Unterschiedliches; Jesus meinte offenkundig etwas Ähnliches. Der Heilige Geist ist Jesus ähnlich. Er repräsentiert eine persönliche Präsenz Gottes, nicht allein eine übernatürliche Macht. Der Heilige Geist lebt, lehrt und spricht; er trifft Entscheidungen. Er ist eine Person, eine göttliche Person, und als solche Teil des einen Gottes.
Der Heilige Geist ist Jesus so ähnlich, dass wir auch sagen können, Jesus lebt in uns, lebt in der kirchlichen Gemeinde. Jesus sagte, er werde kommen und bei den Gläubigen bleiben – ihnen innewohnen –, und er tut das in Gestalt des Heiligen Geistes. Jesus ging also fort, aber er überliess uns nicht uns selbst. Er kehrt zu uns durch den uns innewohnenden Heiligen Geist zurück.
Aber er wird auch leiblich und für alle sichtbar zurückkehren, und ich bin der Auffassung, dass dies der Hauptgrund für seine in gleicher Gestalt verlaufene Himmelfahrt war. Wir sollen nicht meinen, Jesus sei bereits in Gestalt des Heiligen Geistes hier auf Erden und somit bereits zurückgekehrt, so dass es über das hinaus, was wir bereits haben, nichts Weiteres zu erwarten gibt.
Nein, Jesus macht deutlich, dass seine Wiederkunft nichts Geheimes, Unsichtbares darstellt. Sie wird klar wie das Tageslicht, klar wie das Aufgehen der Sonne sein. Sie wird für jedermann sichtbar sein wie auch seine Himmelfahrt vor fast 2000 Jahren für jedermann auf dem Ölberg sichtbar war.
Das lässt uns hoffen, dass wir mehr erwarten können als das, was uns jetzt umfängt. Gegenwärtig sehen wir viel Schwachheit. Wir erkennen unsere eigenen Schwächen, die unserer Kirche und die der Christenheit als Ganzes. Sicher verbindet uns die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, und Christus sichert uns zu, dass er in der Tat auf dramatische Weise einschreiten wird, um dem Reich Gottes einen Impetus ungeahnten Ausmasses zu bescheren.
Er wird die Dinge nicht belassen, wie sie sind. Er wird genauso wiederkommen, wie seine Jünger ihn gen Himmel entschwinden sahen – leiblich und für alle sichtbar. Das schliesst selbst ein Detail, dem ich noch nicht einmal so viel Bedeutung beimessen würde, mit ein: die Wolken. Die Bibel verheisst, dass Jesus, ebenso wie er von einer Wolke aufgenommen gen Himmel auffuhr, wieder von Wolken getragen zurückkehren wird. Ich weiss nicht, welch tieferer Sinn ihnen innewohnt – sie symbolisieren wohl die mit Christus zusammen erscheinenden Engel, werden jedoch zudem auch in ihrer ursprünglichen Form zu sehen sein. Dieser Punkt ist aber sicher weniger wichtig.
Von zentraler Bedeutung ist hingegen die dramatische Wiederkunft Christi selbst. Sie wird von Lichtblitzen, ohrenbetäubenden Geräuschen sowie von phänomenalen Erscheinungen von Sonne und Mond begleitet sein, und jeder wird sie bezeugen können. Sie wird unbezweifelbar sein. Keiner wird sagen können, sie habe an dem und dem Ort stattgefunden. Wenn Christus wiederkehrt, wird dieses Ereignis allerorten wahrgenommen werden, und es wird von niemandem in Frage gestellt werden.
Und wenn es dazu kommt, werden wir, wie Paulus im 1. Thessalonicherbrief ausführt, der Welt entrückt Christus in den Lüften begegnen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Entrückung, und diese wird nicht im Geheimen stattfinden, sondern für alle sichtbar in aller Öffentlichkeit; jeder wird Christi Wiederkehr zur Erde mitverfolgen. Und so haben wir an Jesu Himmelfahrt ebenso Anteil wie an seiner Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung. Auch wir werden gen Himmel auffahren, um dem wiederkehrenden Herrn zu begegnen, und dann werden auch wir zur Erde zurückkehren.
Wir wissen jedoch nicht, wann all das geschehen wird. Ändert es denn irgendetwas im Hinblick auf unsere Lebensführung? So sollte es sein. Im 1. Korintherbrief und im 1. Johannesbrief finden wir dazu praktische Ausführungen. So heisst es im 1. Johannesbrief 3,2-3: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist.“
Sodann führt Johannes aus, dass Gläubige Gott gehorchen; wir wollen kein sündiges Leben führen. Unsere Überzeugung, dass Jesus wiederkehren und wir ihm gleich sein werden, hat praktische Auswirkungen. Sie bewirkt, dass wir versuchen, die Sünden hinter uns zu lassen. Das wiederum bedeutet nicht, dass uns unser Bemühen erretten bzw. unser Fehlverhalten uns zugrunde richten wird; vielmehr heisst es, dass wir danach trachten, nicht zu sündigen.
Die zweite biblische Ausführung hierzu finden wir im 1. Korintherbrief 15 am Ende des Auferstehungskapitels. Nach seinen Darlegungen hinsichtlich der Wiederkunft Christi und unserer Auferstehung in Unsterblichkeit heisst es bei Paulus in Vers 58: „Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“
Vor uns liegt also wie vor den ersten Jüngern Arbeit. Der Auftrag, der ihnen seinerzeit von Jesus erteilt wurde, gilt auch uns. Wir haben ein Evangelium, eine Botschaft, die es zu verkünden gilt; und uns ist die Kraft des Heiligen Geistes gegeben, damit wir diesem Auftrag gerecht werden können. Es liegt also Arbeit vor uns. Wir brauchen nicht untätig in die Luft starrend auf Jesu Wiederkunft zu warten. Gleichermassen brauchen wir übrigens auch nicht in der Heiligen Schrift nach Hinweisen zu suchen, wann genau dies sein wird, da die Bibel uns deutlich darauf hinweist, dass es nicht an uns ist, dies zu wissen. Stattdessen haben wir die Verheissung, dass er wiederkommen wird, und das sollte uns genügen. Es liegt Arbeit vor uns, und wir sollten uns mit aller Kraft dem Werk des Herrn widmen, weil wir wissen, dass diese Arbeit nicht vergeblich ist.
von Michael Morrison